Dating myself: Wie ich lernte, mit mir allein zu sein
Louisa Wölke ist freie Autorin und Texterin aus Hamburg. Sie bezeichnet sich selbst als absoluten Gefühlsmensch, der es nicht nur liebt, in der Natur zu sein oder neue Orte zu entdecken, sondern den es als Nordlicht immer wieder in den Süden zieht. Am liebsten verbringt sie die Zeit mit sich, setzt sich mit moderner Spiritualität auseinander oder sucht Inspiration in Gesprächen mit Freunden und Familie. Für amazed blickt sie auf das Leben als Single in der Großstadt.
Bumble, Tinder & Co. bieten uns ununterbrochen die Möglichkeit, uns vor dem Alleinsein zu bewahren. Neben der Dating-Bubble retten uns unser Arbeitsalltag, Verabredungen mit Freund*innen, Parties und Dinnerabende vor der vermeintlichen Einsamkeit. Mein Leben sah bis vor einigen Jahren ähnlich aus.
Von Montag bis Sonntag war mein Terminkalender randvoll. Neben privaten Verabredungen war ich aufgrund meines damaligen Jobs als Redakteurin mehrfach die Woche auf Events unterwegs – eine Restauranteröffnung hier, eine Vernissage da. Nebenbei wollte ich Freund*innen, Familie und meinem damaligen Freund gerecht werden. Jeden Abend bin ich kaputt ins Bett gefallen, bevor morgens ein weiterer vollgepackter Tag auf mich wartete. Das Spannende:
Damals war mir gar nicht bewusst, wie sehr mich die Umdrehung meines Lebens schlauchte. Ein konstant hohes Stresslevel und immer unterwegs zu sein, waren für mich völlig normal.
Bis Anfang des Jahres 2020, als ein Thema die gesamte Welt auf den Kopf stellte: Corona.
Von heute auf morgen wurde das soziale Leben mehr oder weniger eingestellt. Wir alle standen einer unerwarteten Zwangspause gegenüber und mussten unser Leben, wie wir es bis dato kannten, neu ausrichten. Freund*innen und Familie treffen, feiern in Menschenmengen, neue Kontakte knüpfen – das war vorbei oder nur noch sehr eingeschränkt möglich. Mit einem Mal wurde es still um uns – und unsere Gedanken immer lauter. Hinzu kam in meinem Fall, dass ich einige Monate zuvor meine langjährige Beziehung beendet hatte. Ich war im Lockdown also zu einem großen Teil allein.
Ganz allein mit mir.
Die positive Seite der Medaille offenbarte sich mir jedoch ziemlich schnell: Zu Hause sein und den Abend einfach mal bei Snacks und Netflix auf dem Sofa verbringen, wurde auf einmal gesellschaftsfähig. Und ich merkte, dass ich diese Art des Zeitvertreibs ziemlich gut gebrauchen konnte. Plötzlich fiel ein Druck von mir ab, von dem ich gar nicht so genau wusste, dass er die ganzen Jahre zuvor auf meinen Schultern gelegen hatte. Der Druck, dem sozialen Leben nachkommen zu müssen. Ein Druck, der wahrscheinlich von Angst betrieben wurde. Angst, nicht jeder Freundschaft gerecht zu werden und dadurch Freund*innen zu verlieren. Angst, eine Chance zu verpassen, mein Netzwerk zu erweitern. Und bekanntlich ist ein gutes Netzwerk ja alles?! Angst, der immer stärker vorherrschenden Leistungsgesellschaft nicht zu entsprechen und dadurch weniger akzeptiert und angesehen zu werden.
Viele Tage sind daher mittlerweile für ein Date mit mir selbst reserviert.
Abschalten, zur Ruhe kommen, die Energiereserven für den kommenden Tag auffüllen. Ob mit der neuen Lieblingsserie, etwas leckerem Selbstgekochten, einem Abendspaziergang oder einer Runde Meditation. Kein Druck mehr, nach dem Arbeitstag noch einen weiteren Termin auf der Agenda zu haben. Herrlich!
Single bin ich übrigens immer noch.
Aber ich will euch nichts vormachen. Auch ich habe natürlich ab und an den Wunsch, wieder eine Beziehung zu führen. Eine Sache hat sich dennoch geändert: die Vorstellung, die ich von einer Beziehung habe. Im Gegensatz zu früher gehören ausreichend Zeit und Raum für mich heute zweifellos dazu. Der Gedanke, wieder mit jemandem zusammenzuleben, löst in mir ehrlich gesagt sogar fast ein bisschen Beklemmung aus. Und ich bin froh, das heute sagen zu können. Weil ich überzeugt bin, dass es die gesündere Variante ist, sich auch in einer Partnerschaft nicht selbst zu vergessen und sich immer noch als autarken Menschen zu sehen. Dies zählt wohl zu einem meiner größten Learnings der letzten Jahre, für das ich sehr dankbar bin.
Einige werden sich jetzt vielleicht fragen, ob ich mich, vor allem als Single, nicht oft einsam fühle.
Einsamkeit hingegen ist meiner Meinung nach davon geprägt, allein zu sein, obwohl man es nicht möchte.
Das Gefühl, als letzter Mensch – oder Single – auf dieser Welt dazustehen und auf sich gestellt zu sein. Dem dringenden Bedürfnis nach sozialem Austausch nicht nachkommen und seine Gefühle niemandem mitteilen zu können. Natürlich kenne ich solche Momente auch. Momente, in denen das Alleinsein in Einsamkeit umschwenkt, niemand spontan Zeit hat oder man sich vielleicht verkriecht, obwohl einem etwas Gesellschaft vielleicht guttun würde. Momente, in denen die Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Liebe stärker wird und ich mich schon fast gezwungen sehe, mich auf ein Tinder Date zu begeben. Side Note: Ich bin wirklich keine Freundin von Dating-Apps, aber das ist ein anderes Thema.
Wir Menschen sind und bleiben soziale Wesen, und selbstverständlich ist der Umgang mit unseren Mitmenschen überlebenswichtig für uns. Durch den menschlichen Kontakt lernen wir dazu, verändern unsere Perspektive, erweitern unseren Horizont und stärken das Band zu den Personen, die uns wichtig sind. Doch gibt es meiner Meinung nach eine menschliche Verbindung, die für uns am wichtigsten sein und uns den größten Halt geben sollte.
Und das ist die zu uns selbst.
Hier kommt ein, für mich ganz besonders wichtiger, Mehrwert des Alleinseins ins Spiel: die Möglichkeit, sich mit seinem Inneren beschäftigen zu können. Das Auseinandersetzen mit den eigenen Themen und Emotionen ist etwas, das ich früher selten bis nie getan habe, dessen Wert ich aber heute umso mehr zu schätzen weiß. Es hilft mir, persönlich zu wachsen, mich selbst kennenzulernen, meine eigenen Verhaltensmuster und die meines Umfeldes besser zu verstehen und meine eigenen Bedürfnisse besser wahrnehmen und artikulieren zu können. Ob durch Meditation, das Lesen entsprechender Literatur oder Seminare – die Pflege unserer mentalen Verfassung ist, wie ich finde, ebenso wichtig, wie das körperliche Training und für mich der Inbegriff von Self Care. Und funktioniert eben – abgesehen von professioneller Unterstützung – am besten alleine.
Denn verlieren wir uns im Dating-Game oder einer Beziehung nicht oftmals viel zu sehr im Leben der Anderen?
Ich habe das in der Vergangenheit getan. Mich viel zu sehr auf meine Partner eingestellt, mich an ihnen orientiert. Mich angepasst. Und dabei vergessen, wer ich eigentlich selber sein möchte, was mich ausmacht. Haben wir das erstmal verstanden und ein Bewusstsein für unsere eigenen Werte und Bedürfnisse geschaffen, können wir dann nicht viel bessere Beziehungen führen?
Ich bin mittlerweile überzeugt, dass ein gesundes Maß an Egoismus wichtig ist. Und dass unser sozialer Status nicht abhängig ist von der Größe unseres Netzwerks, dem Umfang unseres Terminkalenders oder der Anzahl unserer Matches. Ich weiß heute, dass ich meinem Umfeld besser gerecht werden kann und das Miteinander mit meinen Liebsten noch mehr genieße, wenn ich mir ausreichend Zeit für mich nehme. Und auch der richtige Partner wird früher oder später, aber definitiv genau zum richtigen Zeitpunkt, kommen. Ohne dass ich nach ihm suche oder mich in die Dating-Hölle begeben muss.
Natürlich kann, wie für mich das Alleinsein, für jemand anderen auch das tägliche Treffen mit Freund*innen, Familie und Partner*in den ultimativen Ausgleich bedeuten. Wir ticken eben alle ein bisschen anders, haben unterschiedliche Bedürfnisse und Energiereserven. Und das ist gut so. Die Hauptsache ist, dass wir mit einem ehrlichen Blick auf uns und unser Leben schauen und für uns selbst da sind, wenn wir es brauchen.
7 Antworten zu “Dating myself: Wie ich lernte, mit mir allein zu sein”
Habe hier noch nie kommentiert aber muss mal kurz dalassen, dass ich mich in diesem Text sehr wiedergefunden habe. Danke, dass du dieses Thema (bw Themen) so ehrlich ansprichst. Hoffe auf mehr :)
Das freut uns sehr!
Liebe Louisa,
dein Blogbeitrag über das Alleinsein und die Beziehung zu dir selbst spricht mir aus der Seele. In unserer hektischen Welt, in der Dating-Apps und gesellschaftlicher Druck oft den Ton angeben, vergessen wir manchmal, wie wertvoll es sein kann, Zeit allein mit sich selbst zu verbringen.
Die Unterscheidung zwischen Alleinsein und Einsamkeit ist äußerst wichtig und oft missverstanden. Du betonst zu Recht, dass das Alleinsein eine bewusste Entscheidung sein kann, um sich selbst besser kennenzulernen und seine eigenen Bedürfnisse zu erkennen und zu respektieren. Einsamkeit hingegen ist ein unerwünschter Zustand, in dem man sich allein fühlt, obwohl man sich nach sozialem Kontakt sehnt.
LG, Nina
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