Dating: Die Green Flag Parade oder ein Plädoyer für positive Gefühlstransaktionen

19. Januar 2022 von in

Wann hast du das letzte Mal jemanden getroffen, bei dem alle Zeichen auf Grün standen? Und wir reden hier jetzt nicht zwangsläufig von den ganz großen Gefühlen mit Schnappatmung und Herzrasen. Mehr so den Begegnungen, die mehrere Boxen abhaken konnten. Die, bei denen wir uns genau das wirklich bewusst gemacht haben. Nach Hause kommend oder noch am Telefon sagen: Hey, das könnte was werden! Keine Warnung, sondern ein klarer Wink mit dem Zaunpfahl. Ganz ohne Red Flag Potenzial und subtile Grüne, die eigentlich keine sind.

Das frage ich euch und vor allem aber mich selbst. Denn ich zermartere mir seit mehreren Tagen den Kopf darüber und finde beim besten Willen keine Antwort. Klar, da waren Momente – in denen ich Ja zu einem Haus in Schweden mit dem schönsten Mann der Welt oder anderen Schnapsideen gesagt habe. Übersprühende Euphorie. Schmetterlinge und Augenblicke, in denen ich mich schockverliebt und dann auch genauso schnell wieder entliebt habe. Doch noch nie habe ich mir so wirklich bewusst gemacht, wie viele Green Flags mir nach und bei einem Date eigentlich begegnet sind – eher das Gegenteil.

 

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Ein Beitrag geteilt von Sarah Bahbah سارة بحبح (@sarahbahbah)

Radikaler Optimismus, Gen Z Green und die Green Flag Parade

Denn das Rot in Red Flags, das ist intensiv und aufregend. Gefährlich und verspricht Abenteuer. Verführt – trotz der klaren Warnung vor Gefahr, die uns wortwörtlich ins Auge springt. Wohingegen Grün bedingungslos ist. Ein emotional positives Gleichgewicht symbolisiert, in dem wir unsere eigene Waage sind. Ein Zustand, der aktuell und in der wilden Zeitspanne der 20er wohl so fern scheint wie das Ende der Klimakrise. Und trotzdem hat es Gen Z Green als offizielle Trendfarbe geschafft, den hoffnungsvollen (oder -losen) Optimismus einer Generation zu kanalisieren. Die im Angesicht von Krisen und Chaos trotzdem daran glaubt, dass es einen Hoffnungsschimmer gibt. Eben ein frischer Wind und Umschwung, der uns dabei hilft, alte Konzept in ein neues Licht zu rücken. In diesem Fall die Red Flag Parade, die im letzten Jahr die Feeds vereinnahmt hat.

Ausgehend von einem Twitter-Trend, bei welchem User:innen anfänglich ernsthaft und dann zunehmend humoristischer werdend, (Dating) Red Flags geteilt haben, fordert der grüne Trend dazu auf, weniger negativ und voreingenommen zu sein. Uns selbst und vor allem anderen mit einem Vertrauensvorschuss zu begegnen. Ohne jeden Move ins Kleinste zu analysieren und hinter jeder Ecke eine potenzielle Gefahr und damit einen Exit zu vermuten. Die Green Flag Parade ist also der Freifahrtschein, um sich fallen zu lassen und einen Vertrauensbonus in den Dating-Ring zu werfen. Der auf Verbundenheit und radikalem Optimismus basiert. Einer, der Ja sagt und es genauso meint.

 

Das korrupte Red-Flag-System zwischen Ha Ha und Heartbreak

Ganz im Gegensatz zu den allseits verbreiteten Red Flags, die zwischen Ha Ha und Heartbreak den Datingalltag bestimmen. Der Retter in der Not oder unseres eigenen Verderbens Schmied – auch hier ist alles Auslegungssache. In seiner Funktion als Frühwarnsystem schlägt der hauseigene Red-Flag-Detektor an, wenn es etwas zu bemängeln gibt. Schlüpft in die Rolle eines Beschützers. Und gleichzeitig wird er zum Auswahlkriterium, welches uns von Personen wegzieht oder ihre Nähe suchen lässt. Die der Walking Red Flag zum Beispiel, auch bekannt als toxischer Gegenüber. Ist das nun natürliche oder erlernte Selektion – das ist die Frage? In jedem Fall reduziert dieses Bewertungssystem potenzielle Partner:innen auf akribisch selektierte No-Gos:

Wie gut funktioniert das in einer Praxis, in der wir von Gewohnheiten eingelullt werden und uns nur schwer lösen können? Was genau macht es mit uns, wenn wir ständig mit einer hochroten statt rosaroter Brille sowie einem daueraktiven Red-Flag-Detektor durch die Welt laufen?

Denn wenn es um die Wahl von Kolleg:innen, Freund:innen oder anderen Verbündeten geht, dann schließen wir diese Verbindungen meistens aufgrund von gemeinsamem Interesse oder Werten. Positiven Eigenschaften, die als deckungsgleiche Grundlage dienen – für alles weitere. Glasklare Green Flag: weil wir so viel gemeinsam haben. Nur beim Daten ist da dieser absurde Zauber vom Überwinden unüberbrückbarer Differenzen und einem magischen Make-over. Das eigentlich allem widersprecht, wofür Green Flags stehen. Die brauchen nämlich keine Veränderung oder Optimierung, sondern bieten den Garanten auf einen Zufluchtsort mit Wohlfühlgarantie.

@jeanmarisarana Reply to @leaapotato ♬ Toxic – Britney Spears

Alle wollen Ehrlichkeit, aber wie weit darf sie gehen?

„Ich finde es gut, dass du so ehrlich bist.“ Ist in diesem Kontext einer meiner Lieblingssätze. Denn er ist der ausgesprochene Catfish-Take im Flag-System – Ambivalenz par excellence. Der einerseits Grund für eine Green Flag gibt, die sagt: Ich höre dich und wertschätze das, was du gesagt hast. Bis das aber kommt. Während wir also völlig damit beschäftigt sind, das Ja-Sager-Signal zu verarbeiten, wird einem auch schon rot vor Augen – Major Red Flag Incoming. Halbgare Ehrlichkeit ist nämlich eine trügerische Green Flag. Eine, die sich noch nicht entscheiden kann, was sie mal werden möchte und wo der Weg sie hinführt. Ohne Punkt oder Ausrufezeichen und ein Synonym für:

„Ich mag dich, aber nicht genug. Ich will ehrlich sein, aber nicht genug. Ich finde es gut, dass du ehrlich bist, aber ehrlich gesagt wäre mir eine (sehr viel) weniger ehrliche Aussage lieber“ – ich bin nicht klar, nicht grün, eher ein rotstichiges grün-gelb.

Eins, das gerne die optimale Gelb-Blau-Verteilung hätte, aber irgendwas ist nicht stimmig innerhalb des Mischverhältnisses. Also gibt es keine Anerkennung für klare Signale, die Ordnung in das (Gefühls-)Chaos bringen kann. Und genau dadurch wird irgendwo in diesem zwanghaften Aufrechterhalten der Red Flags, die wir wie eine Art Schutzschild um uns legen und der Welt vorhalten, jede Green Flag einem Farbwechsel unterzogen. Grün ist gut, aber zu Grün darf es nicht sein. Sowieso haben wir allmählich eine Rot-Grün-Schwäche entwickelt, mit der man vor lauter Bäumen einfach eine Hütte im Wald bauen muss. Weil man nicht rauskommt. Und in der sich die Netzhaut im dunklen Entspannen kann – für eine Auszeit. Von all den widersprüchlichen Signalen, durch die sie scheinbar die Fähigkeit verloren hat, auch nur das kleinste Flimmern zu empfangen.

 

Verfahren ohne Navi? Ruf die Green Flag Parol

Wir verlaufen uns also innerhalb unserer eigenen (Stör-)Signale und morsen Codes, die so eigentlich nicht richtig sind. Denn bricht man das Ganze herunter, dann geht es eigentlich darum, Anhaltspunkte zu erkennen und zu verstehen. Doch in unserer Welt, in der alle das Pokerface zur Perfektion beherrschen, niemand Zeit dafür hat und sich alle in anfänglicher Zurückhaltung üben, stellt sich dieser Prozess als schwierig heraus. Wie kann ich jemanden lesen, der mir noch nicht mal den letzten Strohhalm zuwirft und ich mir versuchen muss, einen Reim auf Dingen zu machen, die ich weder aussprechen noch verstehen kann. Weil der Beipackzettel mit der Begriffserklärung fehlt, mit dem ich einen Plan von dem hätte, was sich hier gerade anbahnt.

Unwegsam ist der Weg der Green Flag Patrol. Auf dem Dating zu einer Art Versuch wird, sich durch unwegsame Gewässer zu navigiere. Mit Red und Green Flags als Leitsystem. Die Zeichen dafür sind, ob es weitergeht oder wir an der nächsten Kreuzung eine Kehrtwende einlegen oder eine andere Abzweigung nehmen. Aber nicht jede Ampel hält, was sie verspricht und so landet man also manchmal im Kreisverkehr oder einer Einbahnstraße. Aus der man herausfindet oder eben nicht. Und solange der Sprit nicht ausgeht, kann die OKF weitergehen – bis wir angehalten werden. Denn im tatsächlichen Verkehr muss dafür ein Bußgeld gezahlt werden. Was im übertragenen Sinne einer Zeitverschwendung gleichkommen würde – aber was ist schon ein bisschen Zeit für eine gute Lektion Lebenserfahrung oder?

 

 

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Green Flags sind Ja-Sager, die sich ihrer Naivität nicht berauben lassen wollen

An dieser Stelle möchte ich also die Gelegenheit nutzen, um eine, wenn nicht sogar die Advokatin zu zitieren, die es gemeistert hat, sich von alten und unliebsamen Dingen zu trennen – materialistisch oder in diesem Fall eben verhaltenstechnisch. Ein Hoch auf Marie Kondo, mit deren Hilfe wir das Dating-Wertesystem aufräumen könnten. Weg mit den Red Flags und mehr Raum für geistige Klarheit, mit der es sich auszahlt, anderen zu begegnen. Unsere angelernte, rotfarbene Antihaltung ist reine Ansichtssachen, von der es sich zu lösen gilt. Denn in diesem Szenario macht die Formulierung die Tonalität – und somit Farbgebung. Betrachtet man also die Dinge von einer Warte, die allem mit Offenheit und Empathie begegnet, dann stehen alle Zeichen auf Grün.

Ein klares Signal dafür, Dating Green Flags zu sammeln und sich bei jedem Treffen zu fragen: Does it Sparks me Joy? Und wenn ja, warum genau? Statt No-Gos gibt es nur noch Ja-Sagen. Radikal. Ohne Aber. Optimistische Aussagen, die wertschätzen, statt Fähigkeiten anzuzweifeln. Denn das ist so viel angenehmer für die eigene Ausgeglichenheit – weniger toxisch und vielleicht auch treffsicherer. Green Flags sind mutig, ehrlich und gestehen es sich ein auch mal naiv sein zu können. Denn im Gegensatz zu dem allseits verbreiteten Irrglauben macht uns Verletzlichkeit und Emotionen zeigen nicht schwächer oder weniger standhaft – eher Gefühlsecht. Klar mit sich und anderen zu sein. Green Flags zu schwenken bedeutet positive Transaktionen auf dem Gefühlskonto – die wir nicht ASAP loswerden wollen. Eher nicht genug davon bekommen können.

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3 Antworten zu “Dating: Die Green Flag Parade oder ein Plädoyer für positive Gefühlstransaktionen”

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