Das Phänomen Pärchensprache: cringe, aber gut – nicht nur für Paare
„Oh Gott, hört sofort auf damit und macht das nie wieder!“ Mit gleichzeitig vorwurfsvollem, entsetztem und peinlich berührtem Blick schaute uns Amelie vor etwa zehn Jahren an, als meinem damaligen Freund ein recht hoch-piepsig ausgesprochenes Wort mit i-Endung rausgerutscht war. Ein typisches Wort, das ich damals in jedem anderen Kontext furchtbar kitschig und unangenehm gefunden hätte, das aber damals für uns ganz normal war, wenn wir zu zweit miteinander redeten. Bei dem mir aber auch sofort die Peinlichkeits-Schweißperlen auf die Stirn traten, als er es fröhlich und unbedarft in Amelies Anwesenheit rauspiepste. Denn so süßlich und vertraut wir auch miteinander redeten oder schrieben, wenn nur wir beide beteiligt waren, so unglaublich peinlich wäre es mir gewesen, wenn auch nur irgendeine Person diese Art zu reden mitbekommen hätte, die kein Teil dieser Beziehung war.
Ich konnte Amelie also komplett verstehen und hoffte, mein Freund würde künftig in Gesellschaft nur noch in normaler Stimmlage reden. Seit diesem kleinen Peinlichkeits-Vorfall fing ich an, mehr auf das Phänomen der Pärchensprache zu achten.
In jeder meiner Beziehungen gab es einen Haufen Emojis, Stimmlagen und Wort-Abwandlungen, die wir untereinander benutzten, und die mir auf seltsame Weise ein wohliges Gefühl von Vertrautheit verschafften. Aber die sich außerhalb der Beziehung so dermaßen peinlich anfühlten, dass ich sie niemals im Beisein von irgendwem ausgesprochen hätte.
Auf die Beziehung von damals folgten im Laufe der Jahre noch weitere, und mit jedem meiner Freunde entwickelte sich mit der Zeit eine neue Art der vertrauten Kommunikation. Mehrere völlig verschiedene Pärchensprachen aus Insidern und Wortabwandlungen, die interessanterweise auch nichts miteinander zu tun hatten. Und sich ganz individuell entwickelten, so wie jede Beziehung eben eigen und unterschiedlich ist. Immer wieder, wenn ich mit einer Wortabwandlung, in anderer Stimmlage oder mit bestimmten Emojis mit meinem Freund kommunizierte, musste ich an Amelie und ihre peinliche Berührtheit denken.
Denn verstehen konnte ich sie komplett. Nicht nur ihr, sondern auch mir war es unheimlich unangenehm gewesen, die Pärchensprache aus der Zweier-Vertrautheit heraus plötzlich auch vor ihr zu hören. Und auch ich war mittlerweile schon öfter in Amelies Situation gewesen. Vor mir hatten diverse Freunde plötzlich ihre Pärchensprache ausgepackt, bis heute kommuniziert ein Freund selbstbewusst dazu stehend in „Hullu“-Sprache vor mir mit seiner Freundin. Weil ich aber beiden so nahe stehe und mir die Beziehung der beiden wirklich vertraut ist, fühlt es sich für mich gar nicht mehr komisch an. Denn etwas anderes ist hier passiert.
Ich wurde als gute Freundin ein Stück weit in die vertraute Wohlfühl-Beziehungs-Bubble der beiden mit reingezogen, und ihre Pärchensprache hat auch auf mich den ähnlichen Effekt, den sie in einer Beziehung hat.
Egal wie sie genau aussieht, der Effekt von Pärchensprache kann tatsächlich positiv sein, die Beziehung und das Wohlbefinden stärken. Das hat eine wissenschaftliche Studie von Audrey Aerens für die KU Leuven herausgefunden: Sie untersuchte in ihrer Masterarbeit, welchen Einfluss „Babytalk“ auf Paarbeziehungen hat.
Sie fragte sich: Ist die besondere Art, mit dem Partner zu sprechen, vielleicht die geheime Zutat für eine glückliche Beziehung – oder einfach eine kitschige Peinlichkeit?
Das Ergebnis: Mit ihrer Studie fand sie heraus, dass Pärchensprache eigentlich eine ziemlich gute Sache sein kann. Zwei Drittel ihrer 1142 Studienteilnehmer und Teilnehmerinnen in Paarbeziehungen gaben an, dass sie Pärchensprache verwenden. Und genau diese Paare gaben auch an, häufiger zu kuscheln und sogar mehr Sex zu haben als die Vergleichspaare, die ohne Pärchentalk auskommen. Auch über diese Umfrage hinaus legte Aerens in ihrer Arbeit dar, dass die emotionale Bindung durch eine gemeinsame Art zu Sprechen gestärkt wird.
Aber was heißt das genau, und muss eine gemeinsame Pärchensprache direkt süßlicher Babytalk mit dem Partner sein?
Auch die Autorin dieses Artikels hat mit ihrem Freund eine bestimmte Pärchensprache. Und merkt in diesem Zuge an, dass, Babies schneller lernen zu sprechen, wenn mit ihnen in Babysprache kommuniziert wird. Bei Babytalk mit kleinen Kindern läuft mir oft ein fast genauso unangenehmer Schauer über den Rücken, als wenn ich unfreiwillige Zeugin von Pärchensprache in Beziehungen werde. Und der Grund für das bessere Lernen von Sprache liegt wahrscheinlich eher im deutlichen und langsamen Sprechen, als in der höheren Tonlage, so die Studien.
Und trotzdem scheint es sowohl zwischen Eltern und Kindern, innerhalb von Paarbeziehungen, aber auch innerhalb der Familie unter Geschwistern oder sogar unter Freunden ein sehr verbindendes Element zu sein, eine gemeinsame Sprache zu entwickeln.
Natürlich rede ich weder mit meinem Freund, noch mit meinen engen FreundInnen in Babysprache. Und im Rahmen von Sexualität und gegenseitiger Wahrnehmung kann das Thema Pärchensprache auch ein schmaler Grat sein, was dieser Artikel anspricht: Ist die Pärchensprache einseitig oder driftet sie zu sehr ins Infantile, kann sie auch dazu führen, dass man sich gegenseitig eher als kindlich und familiär und weniger als sexueller Partner und Mensch auf Augenhöhe wahrnimmt.
Pärchensprache heißt aber natürlich nicht automatisch infantiles Baby-Gesäusel, sondern eine gemeinsame Sprache kann ganz unterschiedliche Formen und Ausprägungen haben. Und tatsächlich fiel mir, je länger ich darüber nachdachte, auf, dass ich auch mit meinen engen FreundInnen eine bestimmte Sprache habe, in die wir immer sofort verfallen. Und die mir ein wohliges Gefühl von Vertrautheit gibt. Genauso habe ich innerhalb meiner Familie bis heute von außen betrachtet völlig absurde Insider und Wortabwandlungen, die vor allem mein Vater heute wie damals nach Herzenslust verwendet. Die mir vor allem als Teenie plötzlich eher peinlich waren, die ich aber heute wahnsinnig liebe – und die mir genauso ein extrem wohliges Gefühl geben.
Natürlich kann Pärchensprache schnell ziemlich unangenehm werden. Und bis heute fühle ich mich unwohl, wenn Paare sich vor mir ihre intimen Spitznamen geben oder in Piepsstimmen miteinander reden.
Genauso unwohl, wie wenn Eltern vor mir ihrem Kind „Spatzilein“ entgegenhauchen. Und trotzdem werde ich ab sofort mein Judgement hinter mir lassen, ob Babysprache oder etwas coolere Ausprägungen, und mich freuen: Für alle, die mit Vertrauten Menschen eigene Sprachen und Sprecharten haben. Denn das heißt, dass da wirklich enge Bindungen dahinterstecken. Und dass sich alle, die mit FreundInnen, PartnerInnen, Geschwistern oder Eltern manchmal ein ein bisschen cringy reden, einfach wohl dabei fühlen – und ihren engen Vertrauten ein genauso gutes Gefühl damit geben.
Eine Antwort zu “Das Phänomen Pärchensprache: cringe, aber gut – nicht nur für Paare”
[…] eine Art romantisches Zusammensein entworfen worden sind, die Frage: Wieso können wir nicht alle Beziehungen gleich handhaben? Damit meine ich die romantischen, die platonischen, die familiären – dort ist […]