Das nächste Mal aber mit Kind!
Sich dem alltäglichen Sexismus zu widersetzen ist ein Vollzeitjob. Das fällt mir auf, wenn ich darüber nachdenke, was ich so tue – unterbewusst und bewusst – um mich vor heteronormativen Stereotypen, Sexismus oder Belästigung zu schützen. Nehmen wir Catcalling* zum Beispiel. In der Vergangenheit wurde ich nur selten gecatcalled und früher dachte ich, ich hätte einfach mehr Glück als Freundinnen von mir, denen andauernd hinterher gerufen wird. Heute weiß ich, dass ich mich davor schütze, indem ich in der Öffentlichkeit meist Ohrstöpsel in den Ohren habe, ganz gleich ob ich Musik höre oder nicht und konsequent den Blicken und Gesichtern um mich herum ausweiche. Man sieht dem Stier ja auch nicht in die Augen, da wird er nur aggro.
Ich widersetze mich so gut es geht den Klischees und habe so meine Tricks entwickelt, um nicht jeden Tag aufs Neue daran erinnert zu werden, dass ein dicker Stempel auf meiner Stirn klebt, der da heißt: FRAU. Dieser Stempel ist das goldene Ticket für dumme Sprüche oder Themen, über die ich nicht sprechen will, über die man aber als Frau der Gesellschaft zu sprechen hat. Themen wie Heiraten und Kinder. Als Frau wird man ab einem gewissen Alter ganz natürlich mit diesen Themen konfrontiert, ob man will oder nicht, und muss zu ihnen Stellung beziehen. Das kann ganz schön anstrengend sein.
* Unter Catcalling versteht man Männer, die Frauen hinterher rufen und um ihre Aufmerksamkeit buhlen.
Um unumgängliche Hochzeitsfrage abzuwehren, habe ich mir ein Schutzschild gebastelt. Ich werde dank dieses Schutzschildes heute nur noch selten gefragt, ob ich heiraten möchte. Der Weg dorthin war hart, zäh, und er wird noch lange nicht aufhören. Man muss durchhalten, die Zähne zusammenbeißen und konsequent bleiben: „Nein! Nein! Nein!“, heißt die Antwort, die man immer und immer wiederholen muss, bis es alle verstanden haben. Die Folgen der Verneinung sind Gespräche und Diskussionen, weil sich die Beteiligten des Gesprächs, die womöglich schon heiraten wollen, gerne mal angegriffen fühlen. Für Sonderfälle wie diese empfiehlt es sich, das Heiraten erst zu loben („Hochzeiten sind schön und ich besuche gerne welche!“) und im selben Atemzug eine solche Hochzeit für sich selbst abzulehnen („Aber für mich ist heiraten nichts.“). Jetzt braucht man nur noch einen Grund, um nicht als „bitter“, „unromantisch“, oder „möchtegern alternativ“ abgestempelt zu werden. Ein bewährter Grund ist, dass es heutzutage nicht mehr nötig ist, zu heiraten. Der letztendliche Stoß in die Brust ist das „Steuer-Argument“ das einem entgegen geschmettert wird: „Heiraten hat aber steuerliche Vorteile!“. Uff. Na gut, du hast gewonnen, ich heirate übermorgen, und ihr seid alle eingeladen.
Das nächste Mal aber mit Kind!
Ich muss mir wohl einen Schnurrbart aufmalen, um mich vor der Frage zu schützen, wann es bei mir mit Kindern soweit sei. Je älter ich werde, umso selbstverständlicher ist die Erwartungshaltung der Gesellschaft, die sich immer häufiger ein Baby auf meinen Arm zu wünschen scheint. Dabei war ich noch vor nicht allzu langer Zeit so naiv zu glauben, in dem zarten Alter von 27 Jahren sozusagen noch in den Kinderschuhen des potenziellen Mamaseins zu stecken, ja vielleicht sogar in solchen Kinderschuhen, die ich niemals besitzen werde.
An Weihnachten vor einem Jahr verabschiedete mich ein alter Freund der Familie mit einem kecken „Das nächste Mal aber mit Kind!“, als hätte er eigentlich „Bis zum nächsten Jahr!“, sagen wollen. Er hinterließ mich sprachlos und verdattert, da ich auf so eine übergriffige und intime Verabschiedung überhaupt nicht vorbereitet war. Ich frage ihn doch auch nicht, wann er eigentlich das letzte Mal Sex mit seiner Frau hatte. Seine Verabschiedung ließ nicht mal eine Antwort offen, die ich so erbarmungslos geprobt hatte: „Nein! Nein! Nein!“. Seine Aussage war einfach da und drückte mir wieder diesen Stempel FRAU auf’s Hirn, der mit so vielen Erwartungen aufgeladen ist, die ich vielleicht niemals erfüllen werde. Den anwesenden jungen Männern im Raum gab er höflich die Hand und sagte das, was ich mir ebenso sehnlichst gewünscht hatte: „Bis nächstes Jahr!“.
Lasst mich bitte alle in Ruhe!
Männer sind sicherlich auch irgendwann in ihrem Leben mit der Frage konfrontiert, ob sie heiraten wollen oder Kinder kriegen.Doch eine Selbstverständlichkeit dieser Frage genießen Frauen viel häufiger. Sie haben das goldene Ticket, den Stempel auf der Birne. Und je älter wir werden, umso schwerer wird es, gegen die Stereotypen und Erwartungshaltungen anzukämpfen und sich freizumachen von den heteronormativen Vorstellungen seines Umfelds. Dabei bin ich eine Frau. Eine Frau, gerne auf Hochzeiten geht. Eine Frau, die gerne die Kinder ihrer Freunde und Freundinnen besucht. Eine Frau, von der aber nicht das Gleiche erwartet werden soll – nur weil sie eine Frau ist.
3 Antworten zu “Das nächste Mal aber mit Kind!”
Du sprichst mir sowas von aus der Seele! Das Schlimmste ist ja dann noch on Top, dass man sich selbst schon innerlich duckt und sich ungenügendxfindet, wenn eine entsprechende Situation/Stimmung da ist um man die noch unausgesprochenen Fragen schon in Großbuchstaben auf der Stirn des Gegenübers lesen kann. So ein Bullshit – da kann man nur versuchen, sich innerlich frei(er) zu machen.
Liebe Grüße, Katharina
liebe amelie, es gibt nur einen grund zu heiraten und den kannst du den leuten um die ohren hauen: ehepartner haben höhere freibeträge beim erben – wer also darauf spekuliert, möglichst viel am ableben des anderen zu verdienen, sollte unbedingt heiraten. für paare, deren einkommen ungefähr gleich hoch ist, lohnt sich das ehegattensplitting bei der einkommensteuer nicht. beide verdienste werden zusammengerechnet und die hälfte davon ist in etwa – ohne kinderfreibeträgen – die abgabenlast von unverheirateten. die gemeinsame veranlagung ist ein überbleibsel einer längst vergangenen zeit, als ehefrauen neben der hausarbeit und betreuung der kinder meist nur stundenweise oder halbtags arbeiten sollten. kinder brauchen auch keine miteinander verheirateten eltern, es ist kein makel, sie sind in allem gleichgestellt.
[…] widergespiegelt. Es fängt beim Familienessen an, bei dem man augenzwinkernd gesagt bekommt „Das nächste Mal aber mit Kind!“, wie Amelie es schon schön aufgeschrieben hat, es geht weiter bei der gemeinsamen Wohnungssuche, […]