Das Buch als Magazin: Das Gespenst von Canterville
Das Buch als Magazin haben wir euch vor einem Jahr schonmal mit der zweiten Ausgabe Woyzeck vorgestellt. Weil sowohl die Idee, als auch die Umsetzung aber eine der intelligentesten und schönsten ist, die ich kenne, möchten wir euch die inzwischen vierte Ausgabe nochmal ans Herz legen – nicht nur, weil es mit dem Lead Award für das beste Newcomer-Magazin des Jahres ausgezeichnet wurde. Es ist nebenbei auch ein sehr schönes Weihnachtsgeschenk für jeden, der einen Sinn für Literatur und gute Texte hat.
Das Konzept: Ein Literaturklassiker wird aufgegriffen und im ersten Teil des Magazins komplett abgedruckt. In der ersten Ausgabe war das Kafkas Verwandlung, gefolgt von Büchners Woyzeck, dann Schnitzlers Traumnovelle und nun Oscar Wildes Gespenst von Canterville. Der zweite Teil des Magazins schließt an den literarischen Text an, und zwar mit journalistischen Texten, die das Thema aufgreifen und das beweisen, was uns im Deutschunterricht immer eingetrichtert wurde: die Klassiker verarbeiten Themen, die zeitlos und auch heute noch aktuell sind.
Bei Woyzeck waren diese Themen Sex und Mord, psychische Krankheiten, Liebe und Tod und Außenseiterrollen in der Gesellschaft. Das Gespenst von Canterville ist eine auf den ersten Blick leichtere und lustigere Geschichte: Eine amerikanische Botschafterfamilie kauft das Schloss von Canterville, in dem ein Gespenst haust. Dieses tut alles, um die Familie zu verängstigen, ob mit einem wiederkehrenden Blutfleck oder rasselnden Ketten. Die pragmatischen Amerikaner reagieren darauf aber nur mit Fleckenmittel und der Empfehlung, Schmieröl zu verwenden – sie nehmen das Übernatürliche als völlig selbstverständlich wahr und rauben dem Gespenst so seine Daseinsberechtigung. Erst, als die Tochter Virginia ernsthaft auf das Gespenst eingeht, kann sie ihm helfen, erlöst zu werden und friedlich zu sterben.
Der Geschichte folgen nun also journalistische Texte aus der Gegenwart, und die haben es in sich. In der aktuellen Ausgabe wird es, wie der Titel schon sagt, geistiger. Es geht um Grenzerfahrungen wie den Tod, den eine Autorin drei Wochen lang am Krankenbett ihres Vaters miterlebt. Es geht um die Loslösung von allem, was einen vermeintlich ausmacht, wenn man sich in die Abgeschiedenheit begibt – in einen Wüstenurlaub, in ein Leben außerhalb der Gesellschaft oder auf den Jakobsweg ohne Unruheherde wie Handy oder Emails. Es geht um die Unsterblichkeit von Popstars, die nie da waren und nie weg sein werden und um immerwährende Brauchtümer, an denen festgehalten wird. Um Möglichkeiten im Leben und wie schnell es zu einem engen Tunnel werden kann, wenn man keine davon wahrnimmt, und um die Sache mit der Selbstverwirklichung im Job.
Das und viel mehr gibt es im aktuellen Buch als Magazin, und wenn man so geplättet von der Intensität der Texte (die an Qualität nie abnehmen) dasitzt, dann passt die Bilderstrecke von Tim Bruening genau zur Stimmung: zwölf Seiten Himmel, kein Text und nur noch das Gefühl von Ruhe. Danke, Peter und Joanna, für eine weitere wunderbare Ausgabe!
Bestellen könnt ihr diese und auch die drei anderen Ausgaben übrigens hier!
3 Antworten zu “Das Buch als Magazin: Das Gespenst von Canterville”
Finde ich ganz ganz toll „Das Buch als Heft“ und habe sie alle ! Ganz tolle Reihe und ich hoffe da ist noch lange nicht Schluss :)
super!! kannte ich noch nicht und klingt nach einem fantastisdhen Konzept! ich bestelle!
finde es toll, dass ihr auch auf solche Dinge hinweist.
Super! Dass es in unserer „oberflächlichen“ Welt noch so inspirierende Texte von klugen Journalisten gibt – ich freu mich sehr auf diese und die vorherigen Ausgaben. Hier werden Themen aufbereitet, die unabhängig von Zeit und Raum ihre Berechtigung für ganz viele Menschen haben. Danke Milli!