Coffee Break: Zu viel arbeiten, zu wenig arbeiten – die goldene Mitte im Job
Vor ein paar Jahren schrieb unsere Autorin Anja in ihrer Kolumne noch über die Liebe oder was man dafür halten könnte. Nun haben wir Coffee Break neu aufgelegt – und diesmal dreht sich alles um das Thema 30 werden. Über Freunde, die gehen und andere, die dazukommen. Wie man immer mehr weiß, was man kann und trotzdem an manchen Tagen so sehr an sich zweifelt, dass man lieber im Bett liegen bleibt. Darüber, dass man Angst hat, kein Baby bekommen zu können und gleichzeitig totale Angst davor hat, jetzt eines zu bekommen. 30 werden ist anstrengend, aber vor allem eines: wahnsinnig spannend.
In den letzten Jahren durfte ich nicht nur in der Liebe, sondern vor allem im Job ganz verschiedene Erfahrungen machen. Ich habe teilweise viel zu viel gearbeitet, mich dafür verurteilt, wenn ich zu wenig gearbeitet habe. Ich hatte Herzrasen, wenn ich zu schnell gemacht habe und habe mich gelangweilt, wenn es zu langsam voranging. Habe inhaltlich Dinge umgesetzt, die mich unterfordert haben oder konnte abends nicht einschlafen, weil mich der nächste Tag komplett überfordert hat.
Ich habe mich selbst überschätzt, aber noch viel öfter unter Wert verkauft. Und mir jedes Mal geschworen, dass es das letzte Mal war.
Was ich dabei schmerzlich lernen musste: Es kommt natürlich immer auf meine aktuelle Tagesform an. An manchen Tagen habe ich richtig Lust, viel zu geben, an anderen bin ich froh, wenn ich in Ruhe gelassen werde. Denn jeder Mensch ist jeden Tag anders und das ist nicht nur vollkommen normal, sondern auch gesund. Manchmal geht man zum Yoga und versucht der Streber im Kurs zu sein und manchmal schmerzen einem die Arme schon beim herabschauenden Hund. Das Wichtige ist nur, dass dann keiner neben einem steht und mit dem Finger zeigt – vor allem nicht man selbst.
Ich finde es erschreckend, dass ich nur noch Menschen um mich habe, die entweder kurz vorm Burnout stehen oder die eingehen wie ein nicht gegossenes Pflänzchen. Keiner meiner Freund sagt: Ich arbeite genau richtig viel.
Vielleicht habt ihr das Glück, in einer Branche zu arbeiten, in der diese Unterschiede ganz natürlich da sein dürfen, obwohl wir wahrscheinlich alle dank des Internets ein ziemliches Tempo gewöhnt sind. In den Medien und damit in meinem Freundeskreis, der vor allem in diesem Bereich arbeitet, werden die Gräben der Extreme immer tiefer. Zwischen dem Verlag, der seine Mitarbeiter nur noch pro forma in ihren Büros sitzen und abwarten lässt, bis der Laden verkauft wird – und dem jungen Onlinemagazin, das pro Tag drei Artikel von seinen Jung-Redakteuren verlangt. Dabei spielt es keine Rolle, wie ein Tag ist. Hauptsache, man funktioniert, und wenn man das nicht mehr tut, kommt eben jemand anderes, der für den Job „brennt“.
Ich finde es erschreckend, dass ich eigentlich nur noch Menschen um mich habe, die entweder kurz vorm Burnout stehen oder die eingehen wie ein nicht gegossenes Pflänzchen, weil sie gar nicht gefordert werden. Manchmal auch beides zusammen. Keiner meiner Freunde sagt: Ich arbeite genau richtig viel. Was ich allerdings noch erschreckender finde, ist, dass in meiner Generation, wenn auch ganz unterschwellig, immer noch gilt: busy sein ist super, obwohl wir doch für etwas ganz anderes bekannt sind. Vier-Tage-Woche, Sechs-Stunden-Tag, Work-Life-Blabla. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Fühlt sich gut an, aber du verbringst viel Zeit alleine, weil zwar jeder davon redet, aber fast keiner mitmacht. Und: Du musst dir immer einen blöden Spruch anhören, wenn auch nur im Scherz – und das nicht von der Generation deiner Eltern, sondern von Gleichaltrigen.
Ich möchte für mich noch mehr meine eigene goldene Mitte im Job finden. Wenn man so will, ist die nämlich vielleicht noch schwieriger als die in der Liebe.
Wenn ich deshalb einen Wunsch äußern könnte für meine Dreißiger, dann wäre es dieser: Ich möchte für mich noch mehr meine goldene Mitte im Job finden. Wenn man so will, ist die nämlich vielleicht noch schwieriger als die in der Liebe. Ich möchte kein schlechtes Gewissen mehr haben, wenn an einem Tag so gar nichts rumkommt und noch stolzer auf mich sein, wenn ein Tag erfolgreich war. Obwohl Erfolg für jeden persönlich natürlich noch einmal ein ganzes eigenes Thema ist. Ich wünsche mir, dass Sprüche zu meiner Nicht-40-Stunden-Woche komplett an mir abprallen und dass ich in keine selbstgestellte Stress-Falle mehr tappe. Dass ich mich nicht mehr mit Anderen vergleiche, die mehr tun, weil ich gar nicht weiß, zu welchem Preis und dass ich wirklich immer „Nein“ sage, wenn ich „Nein“ sagen möchte.
5 Antworten zu “Coffee Break: Zu viel arbeiten, zu wenig arbeiten – die goldene Mitte im Job”
Ein Thema, das uns noch lange bewegen wird.
Derzeit langweile ich mich in meiner Position, weil ich so gut wie nichts zu tun habe. Wenn ich es Freunden/Bekannten erzähle sagen diese, ist doch toll! Du chillst und wir dafür bezahlt! Haha, nein, das ich nicht toll, wenn man bedenkt, dass es verschwendete Lebenszeit ist. Irgendwann konnte ich diese Kommentare nicht mehr hören und habe darüber nur noch mit meinem Mann gesprochen.
Ich sitze meine Zeit wortwörtlich ab. Was das aus mir gemacht hat? Meine Motivation, arbeiten zu gehen, sank von Tag zu Tag. Ich war sehr angespannt, unzufrieden und extrem reizbar.
Im September habe ich gekündigt und mein Chef war nicht überrascht, er habe damit gerechnet, da ich mehr kann, als derzeit von mir in der Position gefordert wird.
Jetzt werde ich mehr verdienen (ich habe zum ersten Mal verhandelt und fast meine Wunschvorstellung erzielt!), habe mehr Urlaubstage und ein breitgefächertes Aufgabengebiet. Ich möchten den Tag nicht vor dem Abend loben, aber es kann nur besser werden.
Liebe Nicole, klar, der Körper dankt es einem: Zu wenig zu tun zu haben ist immer noch gesünder als zu viel, aber der Kopf schläft ja total ein.
Jeder Mensch braucht eine Aufgabe und wenn du die in deinem Job nicht hattest, verstehe ich, dass dich die Kommentare genervt haben!
Hast du denn jetzt mehr Geld und mehr Aufgaben im selben Job bekommen oder hast du gewechselt? So oder so: Alles Gute!
Danke Anja! Es kann nur besser werden.
Ja, mein Kopf ist wirklich total eingeschlafen, irgendwie ist das schon traurig. Ich frage mich, wie ich noch die restlichen drei Wochen hier rumkriege.
Momentan bin ich noch im reinen Online-Marketing tätig und wechsle ab Januar wieder in das Trade Marketing. In diesem Bereich war ich schon mal tätig und kann sagen, dass der Job mir Spaß gemacht hat, da es breit gefächert ist.
Zum Thema mehr Geld, etc.: ich hatte vorher nicht den Mut zu verhandeln und mein „Marktwert“ war mir nicht wirklich bewusst.
Famos! Ich sage Ja zu dieser Kolumne und Nein zu meiner Arbeitszeit. :*
❤️