Coffee Break: Übers Vermissen

14. Februar 2016 von in

Es gibt zwei Arten von Vermissen und manchmal ist es verdammt schwierig, zwischen diesen beiden zu unterscheiden: Jemanden vermissen oder die Vorstellung. Das Bild, das du auf den Anderen projizierst; wie du ihn gerne sehen würdest, das Gefühl vermissen, das er in dir ausgelöst hat.

Wenn man im Lexikon nachschlägt, liest man zu vermissen: „sich mit Bedauern bewusst sein, dass jemand, etwas nicht mehr in der Nähe ist, nicht mehr zur Verfügung steht, und dies als persönlichen Mangel empfinden.“ Laut Definition ist vermissen also immer etwas Trauriges, gar Schlechtes, das es zu beheben gilt. Vermissen bedeutet, dass man mit der jetzigen Lage nicht zufrieden sein kann, sie ändern muss und sich irgendwo anders hinwünscht oder jemanden zurückwünscht.

Im ersten Fall des Vermissens ist das sicherlich auch wahr: Wenn du jemanden vermisst, so wie er war, seine Art und seine Witze, die gemeinsame, schöne Zeit und dieser Jemand nicht mehr da ist – dann ist das ohne Frage etwas sehr Schmerzhaftes. Wenn du dagegen „nur“ das Gefühl vermisst, das der Andere dir gegeben hat, wenn das, nach dem du Sehnsucht empfindest, etwas ist, das in deinem Kopf entstanden ist, bedeutet das nicht gleich, dass du dich irgendwohin zurückwünscht oder unter einem Mangel leidest. Es ist eher wie ein Tagtraum, der ab und an einmal da ist und von dem du vielleicht selber weißt, dass er absolut nichts mit der Realität zu tun hat. In jenem zweiten Fall ist das Vermissen, wenn man es nicht darauf anlegt, nicht allzu schmerzhaft, und man kann trotzdem ganz hervorragend existieren und sogar sehr glücklich sein.

Ich glaube, dass jeder so einen Menschen hat, den er – manchmal über Jahre hinweg– immer wieder vermisst. Dabei geht es oft, wenn man genauer hinsieht, gar nicht um den Menschen selbst, sondern darum, was er in einem ausgelöst hat. Der Andere ist eher eine Art Projektionsfläche für die eigenen Wünsche, Träume und Sehnsüchte. Man projiziert so viel auf diesen Menschen, bis man irgendwann gar nicht mehr sieht, wie er wirklich ist.

Wenn man mit so einem Menschen ein Vermissen fühlt, aber nicht mit ihm zusammen ist, wird das von einem selbst und auch von Anderen oft als etwas Falsches empfunden. Da läuft etwas nicht, wie es sein sollte. Wie kann man noch an den denken? Noch schlimmer: Mit jemand anderem zusammen sein und gleichzeitig ab und an noch diesen Sehnsuchtsmenschen vermissen. Ich glaube dagegen, dass das da sein darf – eben weil diese Sehnsucht nicht einer anderen Person, sondern eigentlich den eigenen Wünschen und Projektionen gilt. Das funktioniert also: Man kann vermissen, ohne sich den Anderen zurückzuwünschen. Man muss sich nur immer wieder klar machen, was man eigentlich vermisst und wie viel das mit jenem Menschen und der Realität zu tun hat.

Die Sache ist ja: Wir denken, wir müssen immer alles vergessen und dürfen irgendwann nicht mehr vermissen. Wenn man jemanden nicht vergessen kann, dann ist das schlecht. Ich glaube dagegen: Manche Dinge will man doch auch gar nicht vergessen. Und manchmal ist Vermissen ja auch etwas Schönes. Denn ganz egal, wie deine Zeit mit diesem Menschen war, gute Erinnerungen gibt es ja auch immer und wenn es nur deine eigenen sind – und die müssen nicht auf Teufel komm raus vergessen werden. Man kann lernen mit diesem Erinnerungen zu leben, mit dem Vermissen zu leben.

Und wenn du deine Wünsche und Vorstellungen schon nicht mit dem Anderen leben konntest, aus welchem Grund auch immer, dann lass sie zumindest in deinem Kopf weiterleben. Sie gehören zu dir und keiner kann sie dir nehmen. Du kannst dir ausmalen, was auch immer du möchtest. Du kannst dir die Erinnerung an das Gefühl behalten, das dieser Mensch in dir ausgelöst hat.

Denn auch wenn es vielleicht nicht die beste Zeit war, aber es war zumindest eure.

Alles von Anjas Serie Coffeebreak 

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5 Antworten zu “Coffee Break: Übers Vermissen”

  1. schön, dass du dich diesem thema an diesem tag widmest.

    ich glaub, auf kleiderkreisel hab ich das erste mal den begriff „schattenmann“ gelesen –
    und find ihn wahnsinnig passend. ich habe selbst auch einen, dem ich zu meinem leidwesenbeinah tagtäglich begegne, der aber nicht mehr zu meinem leben gehört. mit dem ich nicht mal mehr in der lage bin, ein gespräch zu führen. oder er mit mir nicht. das lässt sich schwer entschlüsseln.

    ich versuche in letzter zeit oft, mir darüber klarzuwerden, wieso ich diese person einfach nicht loslassen kann und du hast es gut zusammengefasst: eine schöne zeit, ein gefühl, ein anderer mensch, der „zuhause“ war und viele zukunftsträume barg. einem halt gab. ja, nur blöd, wenn man nicht soweit ist, die trauer loszulassen. dann leidet man, und zwar ohne sicht auf baldige besserung.
    hat man sich aus dem tief befreit, kann man aus dieser schrägen fusion von vermissung und fantasie sicherlich auch etwas positives gewinnen.
    und wenn ich meine mama so anschaue, die meinen vater schon seit acht jahren auf die schmerzhafte art vermisst, dann verliere ich manchmal die hoffnung, dass zeit wirklich alle wunden heilt. blöder spruch. man kann eben noch soviel rationalisieren und beschließen, dass sich all das lediglich noch im kopf abspielt, es einen selbst als person aber eigentlich nicht mehr definiert – es tut trotzdem furchtbar weh.

  2. Toller Text, genau mein Thema, deshalb musste ich mir fast ein paar Tränchen verdrücken. Du hast Recht, vermissen an sich muss nichts schlimmes oder falsches sein, aber leider kann es so weh tun. Ich bin im Moment wieder sehr hin- und hergerissen zwischen vermissen und vergessen wollen. Aber irgendwann findet wohl jeder seinen Weg ..

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