Coffee Break: (Liebes)kummer mit den Jahreszeiten
Der Vater eines Bekannten ist gestorben. Er und seine Freundin sind sofort hingefahren, als sie die Nachricht erreicht hat. Sie haben ihn beerdigt, die Familie getröstet, sich selbst getröstet. Seine Familie lebt nicht in Deutschland. Und die Freundin jenes Bekannten wunderte sich, als ich letztens mit ihr telefonierte, dass er nicht so richtig trauert. Nach einer kurzen Pause kamen wir beide darauf: Er muss vielleicht noch einmal hinfahren, heimfahren, um wirklich zu verstehen, dass der Papa nicht mehr da ist.
Als mein Opa vor zwei Jahren starb, habe ich das zuerst einmal auch nicht begriffen. Ich weiß gar nicht, ob es jetzt schon so ganz zu mir durchgedrungen ist. Ein kleiner Teil von mir denkt, glaube ich, immer noch, dass er nur verreist ist und irgendwann einfach wieder dabei sein wird. Genauso plötzlich, wie er weg war. Und trotzdem hat mir das alles beim Verstehen geholfen und hilft noch bis heute – Weihnachten ohne ihn zu feiern, sonntags bei meinen Großeltern zum Essen eingeladen zu sein und sein Platz bleibt leer, bei der ersten Aprilsonne mit allen spazieren zu gehen, nur er ist nicht dabei. Dass meine Oma mich zu meinem Geburtstag anruft und dann nicht, wie sonst alle Jahre meines Lebens zuvor, den Hörer an ihn weitergibt.
Wir Menschen wären ja manchmal gerne so viel schneller, als wir es wirklich sind. Und diese Beobachtung fand ich nur allzu logisch und zutiefst einfach: Einen Ort oder eine Zeit noch einmal ohne diesen geliebten Menschen erleben zu müssen, um den jetzigen Zustand wirklich zu kapieren. Sicherlich kann man den Tod eines Menschen nicht unbedingt mit Liebeskummer vergleichen – und doch ähnelt sich die Trauer manchmal, wenn eine Beziehung vorbeigeht: Es gibt jene gemeinsame Momente, die man wahrscheinlich nie vergisst, die einen immer wieder zutiefst traurig machen. Diese Momentaufnahmen kann man jederzeit hervorrufen, ein bisschen so wie kleine YouTube-Clips im Gehirn und sie sind eben auch an gewisse Orte und Jahreszeiten geknüpft.
So kommt es also dazu, dass man erst einen neuen, wunderschönen Sommerausflug ohne die letzte Liebe erleben muss, um sich ein Stück mehr von der Beziehung verabschieden zu können. Dass man noch einmal am letzten warmen Herbsttag in diesem Café frühstücken muss, um endlich eine neue Erinnerung an diesen eigentlich netten Laden zu haben, den man nun so lange gemieden hat. Und auch: Dass es einen neuen Frühling braucht, wieder blühende Kirschbäume in der eigenen Straße und das erste Mal die warme Sonne auf der Haut, um diesen alten Frühling mit jener Person in sein Erinnerungskästchen sperren zu können. Kurzum: All das, wovor man im ersten Moment vielleicht Angst hat. Und alles, was dabei hilft, die Realität wieder zurechtzurücken.
Das braucht natürlich wahnsinnig viel Zeit und die geben wir uns heute, glaube ich, oft nicht mehr. Ja, wir Menschen wären manchmal gerne einfach so viel schneller, als wir es wirklich sind.
2 Antworten zu “Coffee Break: (Liebes)kummer mit den Jahreszeiten”
Ich liebe eure Coffee Break so sehr, finde wirklich alle Texte immer so inspirierend und denke auch wirklich immer ein Weile darüber nach und geb euch in so vielem Recht!
Genau so geht es mir. Immer und immer wieder erlebe ich Dinge, die wir früher gemeinsam getan haben, begegne Menschen, die wir gemeinsam getroffen haben und befinde mich an Orten, die wir gemeinsam besucht haben. Und jetzt tue ich all diese Dinge alleine. Und mit der Zeit überlagern die neuen Erinnerungen die alten Gefühle, bis sie gemeinsam existieren und es sich gut anfühlt. Auch alleine.