Coffee Break: Gerade ist eine gute Zeit, um das Alleinsein zu üben

23. März 2020 von in

Vor ein paar Jahren schrieb unsere Autorin Anja in ihrer Kolumne noch über die Liebe oder was man dafür halten könnte. Nun haben wir Coffee Break neu aufgelegt – und diesmal dreht sich alles um das Thema 30 werden. Über Freunde, die gehen und andere, die dazukommen. Wie man immer mehr weiß, was man kann und trotzdem an manchen Tagen so sehr an sich zweifelt, dass man lieber im Bett liegen bleibt. Darüber, dass man Angst hat, kein Baby bekommen zu können und gleichzeitig totale Angst davor hat, jetzt eines zu bekommen. 30 werden ist anstrengend, aber vor allem eines: wahnsinnig spannend.

Mittlerweile bin ich schon soweit, dass ich mich gar nicht mehr ärgere über Corona. Sondern versuche, mich auf das Positive zu konzentrieren. Und da sind ein paar wahnsinnig gute Dinge, die man „der Krise“ tatsächlich abgewinnen kann. Wenn ich dieser Tage spazieren gehe (mit reichlich Abstand, versteht sich), dann kommen immer öfter spontane Gespräche mit Fremden zustande. Ich beobachte die Welt und denke mir: Wow, so sollte es sein. Die Leute fahren Fahrrad, haben Zeit, rufen ihre Freunde ein, lesen Bücher. Wir rennen nicht mehr, weil es gerade keinen Grund zu rennen gibt.

Die Welt steht still – und wir? Was tun in einer Zeit, in der nicht einmal Arbeiten gefragt ist? Viele Menschen sind damit tatsächlich überfordert.

Und das sieht und spürt man: im Münchner Rosengarten werden die ersten Magnolien-Bäume ganz genau unter die Lupe genommen. Normalerweise laufen die Menschen hier nur gestresst vorbei. Telefonierend auf ihrer täglichen Zehn-Kilometer-Jogging-Route. Viele haben lang nicht mehr so genau hingesehen, doch gerade ist reichlich Zeit da zum Gucken. Denn selbst das Arbeiten fällt im Moment schwer, scheint irgendwie sinnlos. Mir geht es genauso. Ich bin unkonzentriert und freue mich über Arbeiten, die mich mein Geld verdienen lassen, aber auch nicht überfordern.

Gerade ist keine Zeit, um etwas voranzutreiben – und ich muss sagen, ich genieße das. Dabei vergesse ich natürlich nicht, dass ich gesegnet bin, trotz Selbstständigkeit relativ sichere Einnahmequellen zu haben. Dass ich keine Angst haben muss. Dass ich nicht zu einer Risikogruppe gehöre, gesund bin, ein schönes Zuhause habe und keine Kinder, die ich gerade betreuen muss. Ich weiß das absolut zu schätzen und ich weiß, dass dieser Text und diese Überlegung auch nur aus jenem Privileg entstehen können.

Anstatt nun Kleiderschränke zu ordnen, sortieren wir doch lieber mal unsere Köpfe. Anstatt Wohnzimmer zu streichen, kommen wir vielleicht mal raus aus dem Machen, aus dem ewigen Rennen, Erledigen und Funktionieren.

Die Welt steht also still – und wir? Was tun in einer Zeit, in der nicht einmal Arbeiten wirklich funktioniert oder gefragt ist? Viele Menschen sind damit tatsächlich überfordert. Vor allem Männer, wenn ich so in meinen Freundeskreis gucke. Vielleicht, weil sie nicht gelernt haben, Zeit alleine zu verbringen und sich um sich selbst zu kümmern? Vielleicht, weil sich Männer auch immer noch ein bisschen mehr über ihren Job definieren? Aber auch unabhängig vom Geschlecht wissen gerade einige nichts mit sich anzufangen – daher wahrscheinlich auch die immer noch vollen Cafés und die vielen Leute in den Parks bis vor ein paar Tagen. Daher wahrscheinlich auch diese Unmengen an Tipps im Internet á la „Zehn Dinge, die du in der Quarantäne tun kannst“.

Ich finde das tatsächlich ein bisschen seltsam, dass Menschen Tipps brauchen, um zwei Woche mit sich auszukommen. Wer genauso lange in den Urlaub fährt, um seinen Kopf freizubekommen, der braucht dafür auch keine Tipps. Vielleicht sehen wir es also ein bisschen wie einen Urlaub von unserem Alltag und unseren Verpflichtungen. Eine Urlaub zu Hause. Und anstatt nun Kleiderschränke zu ordnen, sortieren wir doch lieber mal unsere Köpfe. Anstatt Wohnzimmer zu streichen, kommen wir vielleicht mal raus aus dem Machen, aus dem ewigen Rennen, Erledigen und Funktionieren. Und gönnen uns Zeit für uns selber, fürs Nichtstun. Genießen diese besondere und stille Zeit ohne Erwartungen an jeden Einzelnen.

Diese Zeit könnte eine tolle Chance sein für alle, etwas Neues zu lernen. Und ich meine nicht Spanisch. Sondern mit sich allein sein, nichts tun und Magnolienbäume beobachten.

Noch lange vor Corona saß ich mit meinem besten Freund beim Essen und er fragte mich: „Was ist das überhaupt – Zeit für sich alleine? Was macht man da?“ Ich fand das eine wahnsinnig spannende Frage, an der ich noch immer herum denke. Viele definieren Me-Time ja ausschließlich so: Pizza bestellen und Netflix an! Keine Frage, den Kopf ausschalten tut total gut. In diesen Tagen noch mehr als sonst. Aber das kann doch nicht alles sein? Sind wir wirklich überfordert, wenn die Arbeit wegbricht und Netflix durchgeschaut ist? Was kommt danach? Es ist nicht verwerflich sich etwas reinzuziehen und damit abzulenken, die Frage ist nur was und wie oft. Es macht einen Unterschied, ob ich mich von Zeit Verbrechen berieseln lasse (was ganz wunderbar ist) oder eine geführte Meditation höre, ein spannendes Hörbuch, dessen Gedanken auch Tage später noch nachhallen.

Was macht man sonst allein? Diese Frage werden sich viele in den kommenden Wochen stellen müssen. Vielleicht sich mal beim Denken zuhören, Tagebuch schreiben, kochen und tanzen, sich ausreichend bewegen, aus dem Fenster gucken, die Natur beobachten, schlaue Sachen lesen, meditieren, die Gedanken aufschreiben, Collagen basteln, Blätter sammeln – alles, was einfach mal kein Ziel verfolgt. Und Ideen haben natürlich! Ich hatte letztens Jahr für zwei Monate gar nichts zu tun und profitiere noch heute von Ideen aus diesen Wochen. Wenn man einmal den Berg der Langeweile überwunden hat, wartet da wirklich ein Tal voller Ideen. Es ist ein bisschen wie Joggen, nur innerlich. Diese Zeit könnte eine tolle Chance sein, mal anzuhalten, sich zu besinnen und ein paar Dinge zu hinterfragen. Sich besser kennenzulernen, etwas Neues zu lernen. Und ich meine nicht Spanisch. Sondern mit sich allein sein, nichts tun und Magnolienbäume beobachten.

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