Coffee Break: Freundschaften in den Zwanzigern – niemals verändert sich so viel
Vor ein paar Jahren schrieb unsere Autorin Anja in ihrer Kolumne noch über die Liebe oder was man dafür halten könnte. Nun haben wir Coffee Break neu aufgelegt – und diesmal dreht sich alles um das Thema 30 werden. Über Freunde, die gehen und andere, die dazukommen. Wie man immer mehr weiß, was man kann und trotzdem an manchen Tagen so sehr an sich zweifelt, dass man lieber im Bett liegen bleibt. Darüber, dass man Angst hat, kein Baby bekommen zu können und gleichzeitig totale Angst davor hat, jetzt eines zu bekommen. 30 werden ist anstrengend, aber vor allem eines: wahnsinnig spannend.
Ich hatte auf meinem Nachtisch ein Foto von meinem 24. Geburtstag stehen. Die Betonung liegt auf hatte, denn ich musste es letztens in die Schublade räumen. Weil ich es nicht mehr ertragen habe, dass mit jedem Jahr eine Freundin auf dem Foto weggefallen ist. Vielleicht liegt es an mir, vielleicht aber auch einfach an den Zwanzigern, die, so wie mir scheint, die Lebensphase sind, in der in kürzester Zeit am meisten passiert ist: vom Bafög zum Bonus, vom Kater zum Kind – in meinem Freundeskreis finden sich die verschiedensten Lebensmodelle.
Wahrscheinlich werden die Lebensumstände meines Umfelds nie wieder so divers sein wie gerade. Weil irgendwann nur noch die Eltern mit den Eltern abhängen, die Paare mit den Paaren, die Singles mit den Singles. Doch gerade ist noch alles da – und das ist auf der einen Seite total schön, weil es bunt ist, aber auch schmerzhaft, weil man immer deutlicher spürt: Es bewegt sich was. Ich kann meinen Freundschaften im Moment manchmal nur noch hilflos dabei zusehen, wie sie sich wie zwei Kontinentalplatten immer weiter voneinander entfernen.
Und das ist wahnsinnig traurig, aber wahrscheinlich auch nötig. Ein kleiner Trost dabei: Niemand weiß, ob man sich nicht irgendwann oder sogar bald wieder sieht – und noch einmal anknüpfen kann. Mir wird das immer bewusst, wenn ich mit meinen Eltern spreche, deren Freundschaften teilweise schon seit vierzig Jahren andauern. Manchmal mit großen Unterbrechungen, manchmal auch nur mit kleinen Pausen, in denen man sich nicht verstanden hat. Und dann kommen ja auch neue Menschen dazu, solche, die für den Moment passendere Lebensmodelle haben. Es ist also ein ständiger Austausch von Menschen, die da um einen herumschwirren – ein Leben lang. Eigentlich ein schöner Gedanke – und trotzdem tut es weh, wenn man mal wieder spürt: Da passt etwas nicht mehr, das ziept schon länger.
Das kann in den Zwanzigern die verschiedensten Gründe haben – nach dem Studium geht es zum Beispiel auch plötzlich um’s Geld. Es haben nicht mehr alle ungefähr gleich viel, sondern jeder startet in den Job, in Einstiegsgehälter und das in verschiedenen Städten. Man richtet sich nach und nach sein kleines (Gewohnheits)nest ein, steckt seine Prioritäten ab, geht zwei Mal in der Woche teuer essen oder feiert jedes Wochenende immer noch bis sieben Uhr morgens. Man kann es gar nicht erwarten, erwachsen zu sein oder möchte am liebsten niemals erwachsen werden. Man lernt mit Anfang 20 seine große Liebe kennen oder führt mit Ende 20 immer noch Drama-Beziehungen. Man bekommt Kinder oder scheitert alleine bei dem Gedanken an eine Zimmerpflanze. Und so scheiden sich die Geister, langsam, aber in immer kleiner werdende Sparten. Es reicht nicht mehr, nur zusammen Germanistik zu studieren, sondern im besten Fall steht man an einem ähnlichen Punkt in seiner Beziehung oder seines Singles-Daseins, verdient ungefähr gleich viel Geld und hat ähnliche Interessen – wie zum Beispiel ein Kind.
Komplett verschiedene Leben zu leben und trotzdem befreundet zu sein, ist Arbeit.
Es ist schlichtweg eine Lüge, wenn jemand sagt, es würde sich nichts ändern, wenn Kinder da sind. Es ändert alles, vor allem und auch in Freundschaften. Denn wenn man es mal ein bisschen egoistisch betrachtet, sind Freundschaften in erster Linie ja immer ein Abgleich, ein Austausch über die aktuelle Lebenssituation. Klar, einige der Freundschaften bleiben länger, gar für immer, sie überleben die Stürme und Winde, in denen das eigene Schiff und das des Anderen auseinander getrieben werden. Manche haben sogar das Glück, immer recht zeitgenau in einer Lebensphase nebeneinander her zu schippern. Aber um ganz ehrlich zu sein: Komplett verschiedene Leben zu leben und trotzdem befreundet zu sein, ist Arbeit.
Dabei spielt leider nicht mit rein, wie lange man davor befreundet war, wie eng die Beziehung zum Anderen ist. Es gibt keinen Ticketschalter, an man sich Jahre anrechnen lassen kann, an dem man einwerfen kann „Aber wir haben doch das zusammen durchgestanden“ – sobald ein Baby da ist, verändern sich nicht nur Situationen, Lebensmodelle und Träume, sondern manchmal auch die Menschen dahinter. Es gibt keinerlei Garantie dafür, dass die Person, in die du dich vor Jahren freundschaftlich verliebt hast, als Elternteil noch dieselbe ist.
Ich verstehe zwar nicht, was du da tust und warum, aber ich wünsche dir von ganzem Herzen nur das Beste!
Was also tun, in solchen Situationen? Man kann ja schlecht auf den Anderen zugehen und sagen: So wie du dein Leben lebst, das ist mir ein Rätsel. Steht einem ja auch gar nicht zu. Also heißt es abwarten, aussitzen, sich langsam voneinander entfernen, auch mit der Möglichkeit, sich wieder anzunähern. Denn in Freundschaften gilt nichts anderes als auch in Beziehungen: Was nicht mehr passt, muss auch nicht passend gemacht werden. Manchmal ist es einfach in Ordnung, wenn man loslässt. Sich ein letztes Mal zuwinkt und leise sagt: Ich verstehe zwar nicht, was du da tust und warum, aber ich wünsche dir von ganzem Herzen nur das Beste!
4 Antworten zu “Coffee Break: Freundschaften in den Zwanzigern – niemals verändert sich so viel”
Schöner Artikel- werde ganz sentimental, wenn diese Verschiebungsphasen so akut sind wie momentan!
Kommt gerade im richtigen Moment .. Und den letzten Satz habe ich vor kurzem erst (in einer abgewandelten Form) einer Freundin gesagt …
sehr treffend! wunderbar geschrieben <3
Ach Anja,
Immer wieder denke ich an unsere verrückten, traurigen und lustigen, gemeinsamen Momente… dieser Text hat mich sehr getroffen. Ich sage dir, vermissen tue ich dich ganz oft. So dumm nur, dass man nichts dagegen unternimmt und es einem sagt.
Deine T.
P.S.: denke ganz oft an unsere Flohmarkt-Aktion, als wir eine ganze Nacht durchgemacht haben und am Ende totmüde auf der Olympia-Wiese umgefallen sind. I miss you from the heart.