Coffee Break: Ein Plädoyer fürs Bleiben
Gestern Abend spazierte ich mal wieder über meine Brücke. Auf dieser Brücke sind schon ein paar sehr schöne, aber auch sehr traurige Dinge passiert. Zum Beispiel habe ich hier vor eineinhalb Jahren jemanden verabschiedet. Unser letzter Tag spielte sich auf dieser Brücke ab. Es war ein Juli, der sich wie ein November anfühlte, uns wehte der Wind durch die Haare und wir schauten lange aufs Wasser. Danach bin ich oft über diese Brücke gegangen, gefahren, gestolpert und habe an diesen Menschen gedacht. Ich war mir sicher, dass das nun so bleibt: Diese Brücke und dieses letzte Wiedersehen würden für immer miteinander verknüpft sein.
Das ist der Punkt, an dem man manchmal so gerne abhauen würde. Weil es so viel leichter wäre. Einfach weglaufen, wegziehen und nicht mehr jeden Tag erinnert werden – an irgendwelchen Brücken, Haltestellen, Straßenkreuzungen. Nicht mehr an diesem einen Haus vorbeigehen müssen und Angst haben, dass dieser eine Jemand davor steht, den man lieber nicht sehen möchte. Nicht immer und immer wieder diese blöde Traurigkeit spüren, wenn man um die Ecke biegt und da ist diese Laterne, an der man sich mal geküsst hat, diese Bank, auf der man lange saß, dieses Café, in dem alles angefangen hat.
Wie das mit großen Lieben so ist, sie können einem am meisten wehtun. Denn so sehr man seine Stadt auch liebt, es gibt immer diese Handvoll Orte, die einem jedes Mal aufs Neue ein kleines Loch ins Herz reißen können. Ganz besonders, wenn man ihnen nachts alleine auf dem Nachhauseweg begegnet. Ja, abhauen wäre einfach. Stark ist, wer trotzdem bleibt. Wer vorbeigeht und vorbeigeht und aushält und aushält, bis man eines Tages vorbeigeht und sich erst danach erinnert, was hier mal passiert ist. Und irgendwann vielleicht gar nicht mehr.
Nicht anders ist es bei Menschen. Nichts mehr voneinander hören, nichts wissen und den Anderen nicht mehr sehen, ist zwar schmerzhaft, aber tatsächlich viel einfacher, als immer und immer wieder konfrontiert zu werden. Das weiß jeder, der schon einmal nicht weglaufen konnte – wegen einer gemeinsamen Arbeit oder gemeinsamen Freunden. Dann tut es so oft weh, bis es irgendwann okay ist. Denn immer wieder konfrontiert zu werden, hat einen großen Vorteil: Es bleibt kein Platz für Mythen und Illusionen. Wenn man den Anderen immer wieder sieht, kann er zu gar keinem Phantom verkommen. Auch hier birgt bleiben also eine große Chance: Den Anderen mal wirklich kennenlernen, ganz ohne Verliebtheitsbrille. Genauer hinsehen können, Fehler entdecken und im besten Fall die Erkenntnis: Wow, das hätte niemals, niemals funktioniert. Spätestens dann ist man geheilt.
Natürlich geht bleiben nicht immer – und das braucht es auch nicht. Fest steht aber: Nur wer bleibt, kann Orten und Menschen eine Chance geben mit ihnen neue Erinnerungen zu erleben. Heute erinnert mich meine Brücke nicht mehr an den Abschied, sondern an eine wunderschöne Begegnung im Sommer. Und wer weiß, was sie noch so bereit hält. Ich bleib einfach mal da.
Eine Antwort zu “Coffee Break: Ein Plädoyer fürs Bleiben”
da hats grad dolle geziept beim lesen. denn ich würde grad viel lieber weglaufen.
die zeit heilt zwar alle wunden, aber manchmal könnte sie sich schon ein wenig mehr beeilen..
(ich frag mich oft, was übrigbleibt,wenn einer weiterlebt, als wäre nichts passiert.ich lerne mehr und mehr leute kennen, die das können. ich kanns irgendwie nicht.)