Christmas is Fake News! Alles, was ihr noch nicht über Weihnachten wusstet

12. Dezember 2018 von in

Dass Weihnachten nicht mehr besonders viel mit Jesus zu tun hat, dürfte keine allzu schockierende Neuigkeit sein. Auch nicht-christliche Familien stellen Weihnachtsbäume auf und auch in nicht-christlichen Kulturen – zum Beispiel in Japan – finden sich im Dezember Rentiere, Weihnachtsmänner und Lebkuchenhäuser. Es ist das vielleicht globalste Fest der Welt. Und irgendwie auch das Heiligste – obwohl das Christentum offensichtlich nicht mehr untrennbar mit dem Fest verbunden ist. Aber was macht Weihnachten so attraktiv? Woher nimmt es seine kulturelle Anpassungsfähigkeit? Und was feiern wir an Weihnachten eigentlich, wenn es gar nicht um Jesus geht?

Es ist absurd, wie wenig wir eigentlich über das Fest wissen, das jedes Jahr aufs Neue einen ganzen Monat einnimmt. Denn tatsächlich kann man viele Mythen, die sich um Weihnachten ranken, heute zeitgemäß als Fake News bezeichnen: Kaum eine Lüge der Weltgeschichte wird so großflächig, konsequent und langlebig aufrecht erhalten wie unser Konzept des „Geist der Weihnacht“. Das ist auch kein Wunder: Es ist eine wirklich schöne Lüge. Aber vermutlich anders, als ihr denkt.

 

 

Den „Geist der Weihnacht“ hat es nie gegeben

Wenn wir kritisch über Weihnachten sprechen, wird meist der Konsumaspekt angeprangert: die Unvereinbarkeit eines heiligen Feiertages mit Völlerei, Sonderschlussverkäufen und teuren Geschenken. Der „Geist der Weihnacht“ und die „wahre Bedeutung“ des Festes – christliche Nächstenliebe, Uneigennützigkeit und Besinnung auf das Wesentliche – würde mit dem Massenkonsum verloren gehen. Aber diese Diskussion ist total überflüssig: Denn es hat diesen „ursprünglichen Geist der Weihnacht“ nie gegeben. Das Weihnachtsfest, wie wir es kennen, war von Beginn an ein kommerzielles Fest.

Aber erst mal zurück auf Anfang: Weihnachten, also das Fest der Geburt Jesu, gibt es natürlich schon lange. Die römische Kirche machte den 25. Dezember etwa 300 nach Christus zum Feiertag – total willkürlich, denn es gibt keinerlei Belege dafür, dass Jesus tatsächlich im Dezember geboren wurde. Dass ausgerechnet der 25. Dezember zu seinem Geburtstag erklärt wurde, hatte vermutlich politisch-strategische Gründe. Bis dato herrschte nämlich eine Religion vor, die heute völlig in Vergessenheit geraten ist: Der Mithraismus, ein heidnischer Mysterienkult, der am 25. Dezember den Geburtstag des Sonnengottes feierte. Um die Pagan-Religion zurückzudrängen, wurden Rituale und Zeremonien mit christlichen Bedeutungen überschrieben – erfolgreich, denn die Religion wurde kurz darauf verboten und verschwand.

„You can keep Christ out of Christmas – but not Santa“

Bis dann das Weihnachtsfest zu dem wurde, was wir heute kennen, war es für eine sehr lange Zeit ziemlich bedeutungslos. Im 17. Jahrhundert wurde es sogar zeitweise verboten, weil in der Bibel keinerlei Beweise für die Richtigkeit des Datums zu finden sind. Das Weihnachtsfest besaß keine bestimmten Bräuche oder Rituale – bis es Mitte des 19. Jahrhunderts in den USA langsam zu seiner heutigen Form fand. Und das, surprise, befeuert von einem neuen Phänomen namens Kapitalismus. Dreh- und Angelpunkt dieses neu konzipierten Feiertages war nämlich das Schenken und Beschenken – der wachsende Wohlstand ließ das nun zu und Weihnachten löste Silvester als traditionelles „Fest des Schenkens“ ab. Weihnachten entstand nicht auf Anreiz der Kirche, sondern des neuen Mittelstands: Es war der perfekte Anlass, um den neuen Wohlstand zu zelebrieren. Das ist das Geheimnis der schnellen Verbreitung des Festes auf der ganzen Welt. Denn den Wohlstand feiern – das wollten sie alle.

 

 

Und nun puzzelte sich in den USA aus allen möglichen kulturellen Einflüssen ein neuer Feiertag zusammen, der von Anfang an sehr wenig mit dem Christentum zu tun hatte: Der Weihnachtsbaum beispielsweise hat heidnisch-germanische Wurzeln, das Füllen von Socken wurde von niederländischen Einwanderern importiert. Und schließlich kam es zur Geburt der weihnachtlichen Galleonsfigur, des Königs des Weihnachtsfestes: Santa Claus. „You can keep Christ out of Christmas – but not Santa“ – das schrieb ein amerikanischer Wissenschaftler 1996 sehr treffend. Wie der Weihnachtsmann genau entstand, ist nicht ganz klar – sicher ist, dass auch er eine Mixtur aller möglichen, uralten Kultureinflüsse ist. Sankt Nikolaus, Santa Lucia, Belzenickel, das Christkind und viele weitere, europäische Sagensgestalten mündeten in diese moderne Figur – die übrigens nicht von Coca Cola erfunden wurde. Bevor der Konzern ihn auf Werbeplakate druckte, gab es bereits Gedichte und Karikaturen, in denen „St. Nicholas“ in seiner bärtigen, beleibten Version und auf dem Rentierschlitten erwähnt wurde. Lediglich das typisch weiß-rote Outfit lässt sich auf Coca Cola zurückführen – es sind die Firmenfarben. Ähnlich wie andere amerikanische Exportprodukte wie Levis-Jeans oder Marlboro-Zigaretten überwand Santa Claus – der in seinem Auftreten sehr passend Wohlstand verkörpert – schnell alle Grenzen und wurde auch in Europa populär.

Anarchie in Feiertagsform

Was ist dann überhaupt christlich an unserem heutigen Weihnachten in Deutschland? Die Antwort lautet: Ziemlich wenig – abgesehen vom Weihnachtsgottesdienst, der Krippe, den Christkindlmärkten im Süden und der Figur des Christkinds, die kulturell längst vom Aussterben bedroht ist. Nicht einmal das Datum lässt sich wirklich mit Jesus in Verbindung bringen – und kaum eine weihnachtliche Tradition hat einen christlichen Ursprung. Weihnachten ist Folklore: Eine wilde Mixtur von Traditionen und Ritualen, die zufällig im selben Topf gelandet sind und die durch den Wunsch nach Konsum in eine neue Form gepresst worden sind. Wenn das moderne Weihnachtsfest einer Religion fröhnt, dann sicher nicht dem Christentum, sondern einem ganz neuen, modernen Kult: Dem Konsum – der einzigen Religion ohne Dogmatik und mit reinem Selbstzweck.

 

 

Dass wir das Weihnachtsfest dennoch als etwas Heiliges, Schützenswertes und Gutes wahrnehmen, liegt einerseits an seiner Aufladung mit familiärer Symbolik, weihnachtlichem Kitsch und der scheinbar uneigennützigen Gabe, die an Weihnachten zelebriert wird – auch in Form von Charity. Andererseits liegt es daran, dass es sich um eine unglaublich gemeinschaftsstiftende Angelegenheit handelt. Und genau das ist im Endeffekt Religion: Ein kollektiver Glaube – nur in diesem Fall eben nicht an einen Gott, sondern als Selbstzweck. Ist Weihnachten ein kollektives Zelebrieren von Konsum? Definitiv. Genau deshalb ist es auch der wichtigste und beliebteste westliche Feiertag – und das auf der ganzen Welt. Denn der Konsum hat viel schneller und effektiver Grenzen überschritten, als es das Christentum jemals hätte tun können. Ist Weihnachten deswegen etwas Schlechtes? Nicht unbedingt. Denn ob man sich diesem kollektiven Konsumgottesdienst hingibt, kann immer noch jeder selbst entscheiden. Tut man das nicht, bleibt eigentlich etwas sehr Schönes übrig: Ein chaotisches Konstrukt, das irgendwie jedem und niemandem gehört – ein absurder Flickenteppich aus uralter Folklore, kulturellen Zufällen und Popkultur. Kulturelle Anarchie in Feiertagsform.

Alle Quellen und mehr Infos findet ihr hier.

Bildcredits: Markus Spiske via Unsplash / flickr

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