Chick Flicks: Auf die Fresse
Maggie ist eine schüchterne junge Frau vom Typus Pferdemädchen, das gerne auf die Polizeischule gehen möchte, weil das so ein „toller, sozialer Beruf“ ist. Knapp 90 Filmminuten später zieht sie besoffen mit einem Baseballschläger durch die Stadt und poliert einer Polizistin lachend die Fresse. Wie diese Wandlung zustande kommt – davon erzählt „Tiger Girl“ (ab 6. April im Kino).
Es ist der zweite Kinofilm des geborenen-Münchner-jetzt-Berliner Jakob Lass, der sich dem „Mumblecore“ verschrieben hat. Das bedeutet: Ein sehr loses Drehbuch, improvisierte Dialoge, Laienschauspieler. Wie auch schon in seinem ersten Film „Love Steaks“ ist das ein riskantes Unterfangen, das dem Film ein ganz besonderes Feeling verleiht, denn Fiktion und Realität blitzen abwechselnd auf und vermischen sich zu einem explosiven Cocktail. Im Falle von „Tiger Girl“ zu einem besonders explosiven, denn es gibt ordentlich auf die Fresse.
Als Maggie zu Anfang des Films in der U-Bahn-Station von drei großmäuligen Proleten bedroht wird, kommt ihr Tiger ungebeten zu Hilfe: Wie eine Großstadt-Punk-Martial-Arts-Version von Robin Hood nimmt sie den Großmäulern den Baseballschläger weg und prügelt sich und Maggie den Weg frei. Das ist der Beginn einer heiklen Freundschaft, in der Tiger, die in einem verschrotteten Bus wohnt und sonst mit ihren Freunden auf einem räudigen, verlassenen Dachboden rumhängt, die schüchterne Maggie unter ihre Fittiche nimmt. Sie tauft sie „Vanilla“ und bringt ihr bei, wie man sich selbst behauptet und sich nichts gefallen lässt – von Männern, der Polizei, dem System.
„Höflichkeit ist auch nur eine Form von Gewalt – Gewalt gegen dich selbst“, sagt Tiger: Eigentlich eine Lektion, die Vanilla dringend lernen müsste. Und bald ziehen die beiden gröhlend und pöbelnd durch die Stadt, klauen alles, was sie haben wollen, verarschen die Polizei und randalieren in Kunstgalerien. Es wird klar, dass Vanilla in der Gewalt ein Ventil gefunden hat – ein Ventil für etwas, das dringend raus muss. Und obwohl Tiger immer wieder auf Moral besteht und nur Gewalt gegen Menschen anwenden will, die es „verdient haben“, überschreitet Vanilla die Grenzen immer öfter und immer krasser. Man erfährt nicht, was es genau ist, dass sie so viel Frustration hat aufstauen lassen – denn man erfährt nichts über die Vorgeschichte beider Frauen. Klar wird aber: Vanilla hat sich ihr ganzes Leben lang geduckt und verliert jetzt die Kontrolle über ihre Aggression – und Tiger wird klar, dass sie zu weit gegangen ist. Eigentlich schon, als Vanilla einer vorbeigehenden Passantin wahllos ins Gesicht schlägt oder als sie schließlich von der Schule fliegt, aber spätestens, als sie mit einem gefesselten Polizisten im Kofferraum bei Tiger vorfährt.
Die Genremixtur des Films, die man als Martial-Arthouse bezeichnen könnte, gefällt sicherlich nicht jedem. Der Einsatz von Laienschauspielern gibt dem Ganzen immer wieder ein dokumentarisches Feeling – zum Beispiel durch die Rolle von Vanillas Ausbildungsleiter, der sich unfassbar überzeugend selbst spielt. Auf ganz andere Ebenen kommt der Film dann vor allem durch die intensive Darstellung der beiden Freundinnen, wenn man den Wahnsinn und den Adrenalinkick in Vanillas Augen blitzen sieht oder wenn Tiger sich mit unerschütterlichem Selbstbewusstsein mit der Polizei anlegt. Die Kampfszenen wirken dann plötzlich perfekt choreographiert und einstudiert: Ein ständiger Wechsel zwischen Fiktion und Realität.
Und um was geht es nun eigentlich? Um die explosive Wucht lange unterdrückter, weiblicher Wut? Um die Grenze zwischen Selbstbehauptung und Frustablassen? Zwischen Gewalt und Gegengewalt? Freundschaft? Liebe? Macht? Anarchie? Die Antwort: Irgendwie um alles. Der lose Rahmen des Films erlaubt keinen eindeutigen, roten Faden. Aber das ist gar nicht schlimm: Denn so ist jeder dazu aufgerufen, sich seine eigenen Gedanken zu machen. Und das ist definitiv eine Rotz-Attitüde, die im deutschen Kino fehlt. Die neue deutsche Lässigkeit.
Bilder: Constantin Film Verleih GmbH/Fogma