Call me by my name – wieso wir sensibler für richtige Aussprache werden müssen
Als ich jünger war, habe ich mir vorgestellt, wie es wäre, einen anderen Nachnamen zu haben. Sowas wie Schmitt oder Müller. Etwas, das man so spricht, wie man es schreibt. Ganz ohne Komplikationen. Ein Name, der kein Zungenbrecher ist. Sondern so leicht von den Lippen geht wie das Atmen. Oh, wie schön wäre das gewesen. Nie wieder unangenehme Momente im Kollektiv, die sich ziehen wie Kaugummi, während jemand versucht, das Spinnennetz meines Nachnamen zu entwirren. Und buchstäblich daran scheitert. Sich die Zunge verknotet, aber immer zu einem neuen Anlauf ansetzt. Begleitet von peinlich berührtem Schweigen, nervösem Kichern, Lachen und so viel Fremdscham, dass ich gerne unsichtbar gewesen wäre.
Wie heiße ich und wie viele Namen habe ich?
N-j-o-y-a. Oder wie meine Mutter sagen würde: Nordpol-Julius-Otto-Ypsilon-Anton. Und auf einmal ist das kein Name mehr, sondern ein Code. Getreu nach den Regeln für schreibgerechtes Diktieren: DIN 5009. Ohne Klang und fast schon fremd, als wäre er nicht existent und ich frage mich:
Wie schwer können fünf Buchstaben sein und sich anfühlen?
So schwer, dass du beim Namenaufrufen Herzrasen bekommst. Panisch dem Gegenüber das Wort abschneidest und von vornherein auf ein „nur Fatima bitte“ bestehst. Zu groß die Hürde der richtigen Aussprache. Die wie ein viel zu schiefer Ton in den Ohren klingelt. Falsch gesungen on Repeat. Dabei klingt er, eigentlich, so schön. Nur nicht, wenn er von anderen ausgesprochen wird. Dann bekomm ich Bauchschmerzen und Herzklopfen und würde gerne IRL die Konversation verlassen. Aber was sagt man da, wenn selbst ein „das passt schon“, ein abwinkendes „ja so ähnlich“ oder „halb so wild“ der Tortur kein Ende setzt? Und eher mehr als zusätzliche Motivation gesehen wird. Um sich immer weiter daran zu versuchen.
Wenn du mich rufst, erkenne ich mich selbst nicht wieder
Eigentlich ist Try and Error ja eine bewährte Praxis, die durchaus zu ansehnlichen Ergebnissen führen kann. Jedoch ist davon dringlich abzuraten, wenn es sich um den Namen von jemand anderem handelt. Denn es ist nicht okay, einen Namen konstant falsch auszusprechen oder den Träger durch eigene Unzulänglichkeiten in der Aussprache bloßzustellen. Dieses Szenario ist die Realität für viele Menschen und führt dazu, dass der eigene Name zu einem Fremdkörper wird. Den man Stück für Stück immer weiter von sich wegschiebt. Bis bloß sein Echo zurückbleibt. Eine Kopie der Kopie – die am Ende nichts mehr mit dem Ursprung gemein hat.
Das nur, um es sich und vor allem den anderen leichter zu machen. Um etwas weniger von dem Gefühl des Fremdseins begleitet zu werden. Dem doch so exotischen und ungewöhnlichen Namen, der es den anderen jedes Mal aufs Neue schwer macht. Wie ein Chamäleon werden dadurch Namen zu Anpassungsstrategien. Die dem eigenen Schutz dienen, sich nicht bei jeder Vorstellung den gleichen Microagressionen aussetzen zu müssen: Erklären, wo man herkommt und dabei zu zusehen, wie der eigene Name zum Versuchskaninchen wird.
Namen sind Geschichtenerzähler – fremd und vertraut zugleich
Denn Namen sind Identität. Oder zumindest ein Ausdruck davon. Sie geben Rückschlüsse über die eigene Herkunft und sind eine Art Code, der nur von jenen gelesen werden kann, die seine Hintergründe kennen. Fast wie Landkarten geben sie uns Informationen und erzählen Geschichten. Von ehemaligen Trägern, uns und ihrer Bedeutung.
Aber was hat das überhaupt zu sagen, in einer multikulturellen Gesellschaft? Selbst Namen, die auf den ersten Blick ersichtlich scheinen, können im Zweifel völlig anders gesprochen werden. Sie sind Auszeichnung und Laster – die uns den Weg ebnen oder versperren können. Vor allem dann, wenn sich jemand nicht mit ihnen identifiziert oder dadurch vom System benachteiligt wird. Weil Namen immer zu Voreingenommenheit neigen – in der es keinen Raum für die Nuancen dahinter gibt.
Korrekte Aussprache ist eine Form der Anerkennung
Ich wollte also lieber Müller, Schmitt oder Otto heißen – einfach damit ich es im System einfacher habe. Dabei sollten schwierige oder eher unbekannte Namen keine Entschuldigung sein, sich nicht die Mühe zu machen und den eigenen Sprachraum zu erweitern. Und ja, mein Nachname ist nicht leicht auszusprechen, sagen viele. Aber genauso viele andere finden das nicht – ihnen geht er problemlos von den Lippen. Oft ohne Erklärungen. Ganz ohne Zungenbrecher und wiederholter, pedantischer Nachfrage.
“As you did back then, look me in the face, hold my gaze, and call me by [my] name.”
(André Aciman)
Ich habe meinen Nachnamen lange nicht gemocht und ihn immer mit einem unguten Gefühl verbunden. Denn egal wo ich hinkomme, er eckt an und ist unbequem – erst für die anderen und dann irgendwann auch für mich. Ich habe mich daran gewöhnt, dass er für mein Umfeld in verschiedenen Varianten existiert. Habe die falschen Aussprachen angenommen und zu einem Teil meiner Realität und Identität werden lassen. Weil das für mich damals der einfache Weg war – immer noch ist. Grundsätzlich mache ich mir oft nicht mal mehr die Mühe, ihn auszusprechen. Buchstabiere lieber gleich, um vor allem mir selbst unangenehme Situationen zu ersparen. In denen mein Gegenüber beweisen möchte, wie gut er ihn aussprechen kann – diesen furchtbar exotischen Nachnamen. Mit stolz geschwellter Brust. Wie bei einem Buchstabierwettbewerb.
Call me by my Name!
Und zwar dem Richtigen. Mit all seinen kompliziert, unkomplizierten Buchstaben. In seiner gesamten verwirrenden Einfachheit. Denn nicht jeder Name ist auf den ersten Blick das, was er scheint. Einige sind einfacher schlüssiger als andere – ganz abhängig von der eigenen Perspektive. Doch das ist keine Entschuldigung für Unachtsamkeit. Es ist an der Zeit, dass wir lernen, respektvoll mit Namen umzugehen. Denn Sprache ist eins der wichtigsten Kommunikationsmittel und daraus sollte niemand ausgeschlossen oder mit ihrer Hilfe marginalisiert werden. Korrekte Aussprache ist eine Art der Anerkennung. Die jedem auf Augenhöhe und mit Wertschätzung begegnet. Wie alltägliche Höflichkeiten und Anstandsregeln. Das tut keinem weh, sondern erweitert im besten Fall den eigenen Sprachraum.