Buchclub: Blanca von Mercedes Lauenstein
Ein 15-jähriges Mädchen auf dem Roadtrip ihres Lebens – was im Klappentext nach unterhaltsamer Abenteuerliteratur klingt, ist in der Realität ein wortwörtlicher Kampf ums Leben und Überleben.
Die 15-jährige Protagonistin Blanca wächst an der Seite ihrer alleinerziehenden Mutter an den unterschiedlichsten Orten Europas auf. Die Mutter ist ein Freigeist, eine Philosophin, eine Autonomin, die geprägt von dem spießigen Leben ihrer Kindheit in die Ungewissheit aufbricht, in der Sicherheit, Geld und Routine keinen Platz mehr haben. Die mit sich ziehenden Probleme, die sie dabei nicht nur mit der Welt, sondern auch mit sich selbst hat, die psychische Erkrankung, Depressionen und Aggressionen, lässt sie immer und immer wieder an ihrer Tochter Blanca aus, die sie nie wie ein Kind behandelt, sondern entweder wie eine eigenständige und erwachsene Person oder wahlweise ihren Hund, der immer an ihrer Seite ist, komme was wollte.
Aus dieser Abhängigkeit löst sich Blanca schon ganz am Anfang des Romans. Sie klaut ein paar hundert Euro ihrer Mutter, das einzige Geld, das sie besitzt, packt ihren Rucksack mit den wenigen Dingen, die sie hat und und setzt sich in den nächsten Zug nach Mailand. Das Ziel ist eine kleine Insel in Süditalien, auf der Toni und dessen Sohn Karl in einem Haus wohnen, in dem sie einst mit ihrer Mutter für einen Sommer lang wohnte, eine Art Familie hatte und der vor allem eines ist: der einzige Ort, an dem sie glücklich war. Jenen Sommer verbrachten Karl und die Mutter von Blanca als Paar miteinander, und Blanca schloss eine innige Freundschaft mit Toni, in den sie sich außerdem verliebte, doch zur damaligen Zeit viel zu jung war. Sie hatte alles, wonach sie sich immer sehnte. Ein Zimmer, eine Dusche, etwas zu essen und gute Gesellschaft.
Der steinige Weg zur Insel ist kein leichter oder fröhlicher Roadtrip, sondern ein harter und ehrlicher Kampf ums Überleben. Die Autorin Mercedes Lauenstein beschönigt nichts, sondern sie beschreibt ihre Heldin Blanca als ein traumatisiertes, junges Mädchen, das ein anderes Leben will, als das ihrer Mutter. Das nach Routine, Alltag, Wohlstand und einer Familie strebt und das mit sich bringende Glück, das ihr in ihrem bisherigen Leben verwehrt wurde und für das sie alles in Kauf nehmen würde: auch ihren eigenen Tod, dem sie mehrmals fast entgegenblicken muss.
Nach ihrem Kurzgeschichtenband „nachts“ stecken auch in Mercedes Lauensteins Debüt-Roman Blanca viele Lebensweisheiten und schlaue Gedanken, die die Wünsche und Träume der heutigen Zeit thematisieren. Sei es zum Einen das autonome Leben der Mutter, die auf der Oberfläche das Leben zu verstanden haben scheint, doch im Grunde ihres Herzens eine verlorene Frau ist, die sich selbst nicht glücklich machen kann – und erst recht nicht ihre Tochter. Zum Anderen die Wünsche von Blanca nach einem „normalen“ Leben, das sie nie hatte und das für so viele Menschen eine Selbstverständlichkeit ist.
Ich habe das Buch inhaliert wie lange keines mehr. Blanca ist so kurzweilig geschrieben und die Figuren so detailreich und perfekt beschrieben, dass man das Gefühl hat, eine außerordentlich gute Reportage zu lesen, die echte Menschen beschreibt. Mercedes schreibt nicht nur fantastisch, sie hat eine Gabe dafür, Charaktere zu erfinden und jene Figuren mit Weisheiten des Lebens auszustatten. Ich habe selten kein Buch mehr gelesen, das mich so in den Bann gezogen hat wie die spannende Geschichte von Blanca, die ich nun meine so gut zu kennen, wie meine besten Freunde.
Vielen Dank für die wunderbaren Stunden, die ich mit dem neuesten Roman einer wunderbaren und sehr schlauen Autorin lesen durfte.