Botox, Filler und Co.: Wie stehen wir zur Beauty-Selbstoptimierung?
Vor ein paar Monaten habe ich mir Hyaluronsäure in die Mundwinkel spritzen lassen. Ich hatte gerade mein Interview mit einem erfahrenen Schönheits-Doc beendet und war alle Fragen zu Botox, Fillern, zum Lippenaufspritzen und Fadenliftings und zu der Frage, wann und ob solche Eingriffe eigentlich Sinn machen losgeworden. Da wurde ich gefragt, ob ich es denn nun selbst ausprobieren wolle – und meine Neugier ließ mich nicht zweimal überlegen. Kurze Zeit später wusste ich: Eine Hyaluronspritze tut nicht besonders weh, meine senkrechten Lachfalten in den Mundwinkeln waren nach wie vor vorhanden, und einen klitzekleinen Unterschied, der nun 4 – 6 Monate halten sollte, sah niemand außer mir selbst.
Kurz darauf schrieb ich diesen Artikel, und die empörten Kommentare überschlugen sich: Wie kann sich eine feministische Grundhaltung damit vereinbar zeigen, sich auf so stumpfe Art und Weise wie einem Schönheits-Eingriff dem gängigen Beauty-Ideal zu unterwerfen? Wie sind Schönheits-OPs im Allgemeinen mit dem Frauenbild vereinbar, das wir vertreten? Sollten wir uns nicht alle über Schönheitsideale hinwegsetzen – oder ist es wiederum die Grundlage des Feminismus an sich, dass jede*r für sich selbst entscheiden darf, wie er aussehen und was er dafür tun möchte? Können kleine Veränderungen wie das Lahmlegen der Zornesfalte oder eine Nasen-OP für uns selbst einen großen Unterschied machen, der einen Eingriff rechtfertigt? Und wo liegt die Grenze zwischen der Leidenschaft für Beautyprodukte und dem Spritzen von Hyaluronsäure oder Botox?
Schönheits-OPs und Beauty-Selbstoptimierung: Ein Thema mit vielen Ansichten, Herangehensweisen und Aspekten – höchste Zeit für eine Diskussionsrunde! Wie stehen wir denn nun dazu?
Antonia
Das erste Mal Botox wurde mir vor zwei Jahren beim Zahnarzt angeboten. Nach Monaten des Kieferbeißens empfahl er mir, meine Muskeln mit Botox zu lockern. Ich war erstaunt, was heute alles möglich ist, entschied mich aber dann doch für Stressreduktion und Entspannung. Die Schmerzen gingen durch Achtsamkeit und Entspannung tatsächlich weg, ein Weg, der mir zehnmal lieber war, als einfach eine Spritze in den Kiefer zu rammen und nicht an der Ursache zu arbeiten.
Aber mein Erstaunen über die heutigen Möglichkeiten blieb. Ich verband viele Jahre Schönheitsveränderungen mit OPs, dass das heute anders ist, man vieles invasiv, aber ambulant verändern kann, finde ich, ist ein Gewinn – auch aus feministischer Sicht. Für all jene, die sehr unzufrieden mit ihrem Äußeren sind, unter zu schmalen Lippen oder einer Zornesfalte leiden, einen Unfall hatten oder einfach ein anderes Schönheitsideal haben als andere. Sie können etwas verändern, aktiv werden und selbstbestimmt entscheiden, was sie an ihrem Körper verändern wollen.
Es wäre gelogen, wenn auch ich nicht schon die Möglichkeiten einer Hyaluron-Behandlung oder Botox gegen Faltenbildung gegoogelt hätte. Warum ich bisher nichts gemacht habe? Weil ich a) mehr als im Reinen mit mir und b) noch dazu ein riesiger Angsthase bin, der sich sorgt, dass die eigene Mimik anders wird, man für Monate verändert aussieht und das Ganze bereut. Zumal ich auch eher der Meinung bin, dass man wirklich nur bei hohem Leidesdruck zu solchen Mitteln greifen sollte. Also bleibe ich für den Moment lieber natürlich, denn einen großen Nachteil hat die neue Beauty-Selbstoptimierung: das Individuelle bleibt leider oft auf der Strecke.
Amelie
Ich habe ein extrem zwiegespaltenes Verhältnis zu Schönheits-OPs, Botox und allem, was dazu gehört. Erst einmal würde ich sagen: Das spricht gegen alles, wofür ich kämpfe. Beauty-Selbstoptimierungen, die aus rein ästhetischen Gründen vorgenommen werden, macht man in der Regel nicht wirklich für sich selbst – auch, wenn das vorsätzlich häufig gesagt wird. Man nimmt diese Behandlungen in Anspruch, weil einem die Gesellschaft eintrichtert, man sähe falsch aus, nur weil man beispielsweise Falten hat, eine große Nase, schmale Lippen, oder kleine Brüste. Ich sehe Schönheitsoptimierungen als keine Problemlösung an, sondern eine Problemverlagerung. Das Problem liegt in der Gesellschaft und nicht in den Menschen, die nicht ihren Vorstellungen entsprechen.
Andererseits möchte ich realistisch bleiben. Wo fängt die Selbstoptimierung denn an und wo hört sie auf? Wie stehe ich dann zu Lippenstift? Wie stehe ich zur Mode? Zu Frisuren? Zu Gesichtsmasken? Oder, falls es unter die Haut gehen soll, zu Tattoos? Schönheits-OPs sowie Botox und Filler sind in meinem Kopf erst einmal als problematisch verankert. Gleichzeitig möchte ich niemanden verurteilen, der oder die diese in Anspruch nimmt. Denn Fakt ist: Die Selbstoptimierung in jeglicher Art ist nun mal da und sie wird nicht verschwinden. Wir müssen also lernen, einen Umgang mit ihr zu finden. Deshalb kann ich auch bei mir nicht ausschließen, dass ich früher oder später doch womöglich eine Behandlung in Anspruch nehmen werde. Nur ist es wichtig für mich – wenn es jemals so weit kommen sollte – eine Balance damit zu finden und es für meine Begriffe nicht zu übertreiben. Die Betonung liegt dabei auf „für meine Begriffe“, denn Schönheit liegt immer noch im Auge des Betrachters. Und deshalb ist das Einzige, wozu ich wirklich stehen kann, bei all dem Kuddemuddel an gemischten Gefühlen zu dem Thema Schönheits-OPs: Die Gründe für einen Eingriff sind privat und der Umgang damit ist individuell. Deshalb möchte ich niemals Finger auf andere zeigen, die womöglich Behandlungen in Anspruch nehmen, die nichts für mich sind.
Milena
In dieser Doku wird die Schönheitskultur, die uns vor allem im Internet begegnet, sehr treffend betrachtet. Eine Erkenntnis ist: Trotz diverserer Schönheitsideale als früher ist das Äußere nach wie vor eine der ausschlaggebendsten Metriken, nach denen wir andere Menschen bewerten – auch, wenn es nur um den ersten Eindruck geht. Und selbst, wenn wir es besser wissen: Vor allem wir Frauen schminken uns tendenziell zu gewissen Anlässen oder für die Arbeit, auch wenn es keinen rationalen Sinn ergibt, sich beige Masse ins Gesicht zu cremen und die Lippen rot anzumalen.
In unserer Wahrnehmung von Schönheit hat sich in den letzten Jahren sehr viel mehr Diversität eingestellt, was ich unfassbar befreiend finde. Auch die Werte, die vor allem Frauen zugeschrieben werden, verändern sich: Wenn ich jetzt noch Komplimente höre, die rein auf das Äußerliche bezogen sind, dreht sich mir fast der Magen um. Oder auch, wenn ohne nachzudenken von „beautiful daughters“ gesprochen wird. All das wahrzunehmen, dabei in seinem Umfeld mitzuziehen und Oberflächlichkeiten zu hinterfragen ist wichtig und sollte für uns alle dir Grundlage bilden, was unseren eigenen Bezug auf unser Aussehen angeht.
Wer im Bewusstsein all dessen aber trotzdem für sich entscheidet, sich zu schminken oder auch Botox oder anderes anzuwenden, dem kann ich das einfach nicht übel nehmen. Es ist ein bisschen wie die beiden umwerfend schönen Moderatorinnen in der Doku, die zugeben, sich auch für diese Aufnahmen geschminkt und besonders gut beleuchtet zu haben, und dass sie selbst ihre Kinnhaare zupfen oder eine Ponyfrisur tragen, damit die Stirn weniger hoch wirkt. Sich komplett über unsere Schönheitskultur hinwegzusetzen sehe ich nicht als logisches Fazit davon, sie zu hinterfragen – und einen reflektierten und vor allem individuellen Umgang für sich selbst zu finden, der für jeden unterschiedliche Grenzen bedeuten kann. Und diese Grenzen sollte jeder, ohne Fingerzeigen, für sich selbst bestimmen können.
Antonia
Ich stimme euch beiden zu. Das äußerliche Verändern und Optimieren war schon in den frühen Jahrhunderten ein Thema. Ob Perücken, Kleidung oder besonders blasse Haut: Das Äußere zu verändern war der erste Schritt zur Identitätsfindung und Abgrenzung. Somit ist und bleiben heute auch Schönheits-Ops, Botox und Co. eine sehr individuelle Entscheidung, die niemand be- und verurteilen mag. Trotzdem ist es, denke ich, wichtig, dass sich jeder, der vor einem Eingriff steht, die Frage stellt, warum mache ich das? Woher kommt diese Sehnsucht und ist es etwas, dass ich vielleicht auch anders auffangen kann? Manchmal entstehen solche Sehnsüchte ja auch aus Selbstzweifeln, emotionalen Lücken und Worten, die andere einem gedankenlos an den Kopf werfen. Vielleicht ist es dann nicht die Schönheits-Op, die das Problem löst, sondern die Einstellung und das Aufarbeiten dazu.
Jowa
Im Traum würde ich nicht daran denken, mich einer Schönheitsoperation zu unterziehen. Diese Option hat nie meine Gedanken gekreuzt und es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, ich hätte absolut kein Problem damit, wenn Menschen sich dazu entschließen. Im Gegenteil: Es löst Befremden in mir aus. Gleichzeitig liegt es mir fern, Menschen etwas vorzuschreiben, wenn es um ihre Körper und ihre mentale Gesundheit geht – und um die geht es im Endeffekt meistens, wenn Menschen beschließen, ihr Aussehen künstlich zu verändern. Meine Meinung zu diesem Thema ist daher sehr ambivalent. Ich denke, dass hinter jeden Entscheidung zu einer Optimierung dieser Art unsere gängigen Schönheitsideale eine Rolle spielen – Menschen fühlen sich ungenügend –, und das ist furchtbar. Gleichzeitig sehe ich das Ende von unrealistischen Schönheitsidealen leider noch nicht am Horizont. Und wer bin ich, Menschen vorzuschreiben, was sie mit ihrem Körper zu tun zu haben? Daher halte ich mich lieber zurück. Für mich persönlich kommt ein derartiger Eingriff nicht infrage. Aber ich werde niemanden – und besonders keine Frau – dafür verurteilen, wenn sie sich dafür entschließt. Verurteilenswert sind die gesellschaftlichen Strukturen dahinter – und gegen die sollten wir auch unsere Kritik richten.
Milena
Mein Fazit ist: Die persönliche Reflexion und ein ganz bewusstes von-außen-Betrachten sind entscheidend, wenn man erwägt, einen solchen Eingriff vorzunehmen. Es passiert viel zu schnell, dass wir Schönheits-Optimierungen – von teurem Make-up über Fake-Lashes bis zu Botox – einfach mitmachen, weil sie im ersten Moment ein positives Gefühl in uns auslösen: Ein Gedanke wie „warum nicht, dann sehe ich besser aus.“ Genau hier sollten wir inne halten und überlegen, was das Ganze wirklich soll, und ob wir nicht genau wie wir sind schon genug sind – und uns der Verzicht auf Optimierung vielleicht sogar mehr innere Stärke, Selbstbewusstsein und äußeres Strahlen gibt, als es jeder Beauty-Eingriff könnte. Doch auch bei der vorschnellen Verurteilung wünsche ich mir manchmal denselben Abstand und das Vertrauen darin, dass dem Ganzen bestimmte Überlegungen, Wünsche und Abwägungen zugrunde liegen könnten – wo wir uns selbst in der Schönheitskultur verorten, ist und bleibt eine der persönlichsten Entscheidungen überhaupt, die am Ende jeder für sich selbst entscheiden muss.
Wir freuen uns auf eure Meinungen: Wie steht ihr zu dem Thema?
Foto: Stilblut
5 Antworten zu “Botox, Filler und Co.: Wie stehen wir zur Beauty-Selbstoptimierung?”
Ich selbst bin in dem Alter, wo viele Frauen bereits eine Entscheidung für einen Eingriff getroffen haben. Das kommt für mich nicht infrage. Ich überlege sogar, ob ich meine Haare färben soll, ob ich den manchmal aufgrund der Wechseljahre sprießenden „Damenbart“ kosmetisch entfernen lassen soll etc. Ich folge da meinem Gefühl, d.h. ich mache es nicht. Meine Meinung ist, dass jegliche Eingriffe eine „Einmischung“ in unsere Natur bedeuten, und dass das manchmal auch unbeabsichtigte, unbekannte oder seltene Nebenwirkungen mit sich bringen kann. Für meinen Teil bin ich nicht bereit dazu. Wenn andere Frauen eine andere Meinung dazu haben, oder mich für meine Entscheidung belächeln – diese Umstände nehme ich in Kauf, um mit mir in Einklang zu sein. Und nein: das ist nicht immer leicht, doch ich stehe dazu ;-)
Das finde ich eine tolle Einstellung, Respekt! :) Ich sag auch immer, leben und leben lassen. Ich finds halt echt schlimm, wenn blutjunge Mädels glauben, sie brauchen aufgespritzte Lippen oder einen falschen Busen, um den greislichen „Influenzas“ nachzueifern (Schreibweise ist beabsichtigt), gerade in Zeiten wie diesen, in denen fast alles nur noch fake ist…deshalb auch von meiner Seite volle Unterstützung für Katharinas Vorschlag unten!
Gestört hat mich und viele der Kommentierenden ja damals in erster Linie nicht, dass Milena was für sich ausprobiert und davon berichtet. Sondern die werblich gefärbte Einbettung ins Interview mit einem Beautydoc und einige Formulierungen, die der von der Beautyindustrie geförderte Furcht vor dem Alter zusprachen. Insofern finde ich es klasse, dass Ihr Euch hier freier und kritischer damit auseinandersetzt.
Was meine Haltung dazu betrifft, so kann ich Jowas Aussage unterschreiben: Ichh spiel da nicht mit, lasse aber anderen ihre Freiheit. Allerdings: zwischen einem Lippenstift und einem Nervengift besteht ein klarer Unterschied, das sollte man schon klar sagen.
Ich fände es jedenfalls cool, wenn man solche Themen generell kritisch einordnet, also Gegenmeinungen, Studien und Co. heranzieht. Denn die Stimmen, die es gut finden, wenn wir Frauen weitgehend unreflektiert danach streben, jünger, glatter etc. auszusehen, sind laut genug. Vielleicht könnt Ihr Euch mal mit einer Fachfrau zum Thema Pro Aging unterhalten? Vielleicht gibt es ne coole Soziologieprofessorin, deren Erkenntnisse und bislang einfach so Geglaubtes in Sachen Frauen und Schönheit hinterfragen lassen? Oder eine Künstlerin/Autorin, die sich mit dem Thema auseinandersetzt? Fänd ich alles super spannend – und ihr seid doch so gut vernetzt. Kluge Gedanken, die uns den Beautydruck nehmen, können wir gar nicht genug hören, finde ich.
Liebe Grüße, Katharina
Vielen Dank für diese wunderbaren Vorschläge, du hast komplett recht und das wird direkt notiert!
Ich kann mich Katharinas Vorschlag nur anschließen!
Und noch ein Gedanke zu „beautiful daughter/son/child“: Ich fand die Verwendung dieser Redewendung auch immer ein wenig merkwürdig, könnte mir aber vorstellen, dass die, die von ihren „beautiful children“ sprechen, nicht nur das Äußere meinen, sondern das charakterliche Gesamtpaket. :)