Beziehungsweise: Ist der Soft-Launch der neue Facebook-Beziehungsstatus?

23. Februar 2022 von in ,

Es gibt Relikte aus der Vergangenheit, die ihren Weg in die Neuzeit schaffen. Als Retro-Revival oder Trend. Andere wiederum werden zu Anekdoten und fernen Erinnerungen. Bei welchen man froh ist, sie (hoffentlich) nie wieder sehen zu müssen – die Diskette oder das Fax zum Beispiel. Bei wieder anderen befindet man sich in einem kuriosen Zwiespalt aus Nostalgie und Unbehagen. Einer dieser Fälle ist der Facebook-Beziehungsstatus. Eine Funktion, die mit Pauken und Trompeten (wirklich allen!!) die frohe Botschaft von „ist in einer Beziehung mit“ verkündet. Die Community tobt und gratuliert mit Daumen hoch und cheesy Kommentaren.

Wer braucht da noch telefonische oder persönliche Überraschungsmomente? Denn das Drama im Netz führt dazu, dass sich bei echten Begegnungen alle auf dem aktuellen Wissensstand befinden – da der Timeline absolut nichts verborgen bleibt. Wohingegen momentan in einer Weltordnung, die zwischen Oversharing und Privatsphäre erhalten pendelt, dieser digitale Küchenzuruf seine frühere Strahlkraft verloren zu haben scheint. Ich begebe mich auf die Suche nach den Hintergründen, denn seit einigen Monaten begegne ich immer wieder einer Praxis, deren Ziel das Gleiche ist – die romantische Beziehung zu einer anderen Person öffentlich zu machen – nur eben softer. Willkommen im Zeitalter des Soft-Launch.

es ist 2014
endlich in der oberstufe auf den abipartys ziehen wir unsere hollisterjeans und die schwarzen spitzenoberteile an
wer was sein will hat eine michael kors uhr beziehungsstatus wird noch auf facebook geteilt
ich bekomme migräne von pharrell williams lied „happy“

— Lena blauer Haken (@leanindersprite) December 30, 2019

Was ist eigentlich aus dem Facebook-Beziehungsstatus geworden?

Betrachtet man die Abstinenz des Facebook-Beziehungsstatus aus der heutigen Perspektive, so kommt man nicht umhin, Äquivalente auszumachen, die je nachdem, in was für einer Bubble man sich befindet, kurios oder alltäglich sind. Ganz einfach erklärt anhand einer Kontrastmontage, in der Gegenpol und Phänomen ihre Anhänger finden. Sie alle spielen jedoch damit, dass externe Beobachter:innen oder der voyeuristische Blick durchs Smartphone, ihnen ein Publikum stellt, wofür es sich lohnt zu kommunizieren. Fast so, als wäre auch das Leben Teil einer größeren Produktion und jeder Tag der perfekte Moment für das große Staffel-Reveal.

Er kürt den Partner:innen-Status als Symbol für Erfolg im System

Bleiben wir bei den Anfängen oder eher dem Ausgangspunkt der Beobachtung, so spielt das fast schon institutionshafte Phänomen Facebook-Beziehungsstatus mit allem, was der Kapitalismus für gesellschaftsfähig hält. Denn er steht plakativ für eine Art persönliches Selbstbranding, in welchem der Partner:innen–Status zum Symbol wird. Für das man sich abklatscht, bejubelt und mit welchem hausieren gegangen wird. Ähnlich wie bei LinkedIn. Neuer Job und alle gratulieren – denn du hast es geschafft. Aber wo lassen sich Leute 2022 bejubeln und wie erzählen sie von ihren Erfolgen, ohne eine ähnliche Funktion in Netzwerken wie Instagram oder TikTok?

 

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Die Antwort ist: Soft-Launch Baby!

Weniger klar formuliert und zaghafter ist die Soft-Launch-Praxis der New Generation, die für mich sinnbildlich das Äquivalent des Facebook-Beziehungsstatus symbolisiert. Weniger laut in der Kommunikation, aber ebenso klar verständlich. Dabei nutzen sie eine fast cineastisch Dramaturgie, die über verschiedene Tools die Spannung im Netz aufbaut. Es fängt an mit einer Hand oder Bein in der Instagram Story. Etwas, das klar als extern identifiziert werden kann. Irgendwann verwandelt sich das Ganze zu einer angeschnittenen Silhouette, Rückansicht und schließlich einer weiteren Person (Schocker). Die erst visuell und irgendwann auch mit einem Tag als fester Bestandteil des Lebens in der Onlinewelt etabliert wird. Schlussendlich der digitale Ritterschlag: der Feedpost inklusive Tag.

Der Begriff Soft-Launch, der ursprünglich aus dem Marketing oder Brandbuilding kommt und es seit letztem Jahr in den Datingalltag geschafft hat, beschreibt klassisch die Kommunikation oder das Bereitstellen von etwas vom Kleinen ins Große. Ohne Tamtam und mit einem organischen Anspruch, der möglichst wenig Aufmerksamkeit auf sich ziehen möchte. Eigentlich das Gegenteil von allem, mit dem sonst immer so geprahlt wird. Kein Statement oder Neonsign – nur subtile Hinweise, die wie bei einer Schnitzeljagd erst für Profis und dann den Rest ein vollständiges Puzzle ergeben.

Beziehung als Statussymbol oder The urge of Blame it on Capitalism

Im Kontrast mit der verschollenen Außenkommunikation wird sich gezielt davon abgewandt, die Beziehung als Erfolgssymbol in einer Hierarchie zu machen, die uns trotz Emanzipation weiteren Fortschritten immer noch als Nonplusultramodell vorgelebt wird. Erfolg hat im Leben, wer Haus, Kind, Partner und ein nettes Auto hat. Alle anderen sind immer unvollständig. Passen nicht in das Ideal. Was so unzeitgemäß und -modern ist. Wenig zu tun hat mit der romantischen und etwas besinnungslosen Idee von Crazy in Love. Aber das liegt vielleicht auch daran, dass das „after“ immer eine Illusion ist. Die nie da gezeigt wird, wo es uns vielleicht prägen könnte – in der Popkultur. Denn da gibt es nur Schlösser mit Namen, den Hubby als Screensaver oder eine Vielzahl an besitzergreifenden Pronomen.

Das Phänomen von digitalem Labeling mit Schloss, Herz, Haus und Namen hat Serienpotenzial

Irgendwie kurios, dass die „Wifeys of Instagram“ in diesem Kontext so viel Potenzial für eine eigene Serie bieten. In der das Phänomen von digitalem Labeling mit Schloss, Herz, Haus und Namen auf einer Gesellschaftsebene erforscht wird. Im Kontrast zu Testläufen via Soft-Launch oder dem völligen Ausklammern der Präsenz im Internet. Denn wie man es auch macht, es macht etwas mit einem. Den anderen und natürlich auch der Paardynamik. Und auch hier stellt sich für mich, wie bei so vielen Dingen, die ausschließlich für eine Art romantisches Zusammensein entworfen worden sind, die Frage: Wieso können wir nicht alle Beziehungen gleich handhaben? Damit meine ich die romantischen, die platonischen, die familiären – dort ist eine Vorstellung, nie so ein Ding.

@louis.hansonSoft launch September! Love is love!♬ Believe Me – Navos

Inszenierung oder vorsichtshalber: Wofür steht das Äquivalent?

So mysteriös und fantastisch der Soft-Launch als Akt auch sein mag, ist er möglicherweise auch nur sich selbst dienlich. Eben ein künstlerisches Stilmittel. Und ein Anzeichen dafür, dass sich wirklich etwas verändert hat. Denn Soft und Slow gehen gerne Hand in Hand – tanzen Tango ganz langsam. Weil beide Ansätze eine willkommene Abwechslung in unserem always-on Zeitalter sind. In dem Realität und Digitalität verschmelzen. Während es fast schon zu einer Kunstform geworden ist, die Privatsphäre als eine Art inszenierte Wirklichkeit zu betrachten, in der wir nur wenigen Zutritt gewähren – in Form von Finstas, grünen Insta-Stories und groß angekündigten Social Media Pausen.

Klar, dass da der Talk-of-Town-Mäßige Facebook Moment, in dem wir wirklich allen das Ding groß ankündigen, immer mehr zur Seltenheit geworden ist. Ich meine, wer benutzt überhaupt noch die blaue App, seit es Insta gibt und wir immer mehr in Richtung Generation-TikTok steuern? Klarer Fall von Neuorientierung. Inmitten der fein kuratierten Feeds entscheidet sich also das Individuum 2022 dazu, dem Buschfunk mittels Soft-Launch die Luft aus den Federn zu nehmen. Denn was könnte heutzutage schlimmer sein, als nach einer groß angekündigten Aktion wieder zurückrudern zu müssen. Und dadurch offen eine Niederlage zu erfahren. Dann lieber: killing‘ it softly (im positivsten Sinne der Redewendung).

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