Berlin Diary: Wir sind alle ganz schön schlecht in Kommunikation
Ich frage mich, wie viele von euch ein bisschen wütend auf den Titel geklickt haben. Wütend, weil ihr der Annahme seid, sehr gut in Kommunikation zu sein. Und das seid ihr vielleicht auch. Ich dachte das zumindest von mir, bis ich eines Besseren belehrt wurde. Zwar bin ich heute – das hoffe ich zumindest – besser in Konversationen und in Kommunikation, doch früher war ich ein einziger Loser. Dabei war die Lösung so einfach, die da heißt: Fragen stellen.
Was so basic klingt, scheint in der Realität so schwer. Das fiel mir in den letzten Monaten auf, als ich immer wieder über das Thema Konversationen nachdachte. Wer hätte gedacht, dass die Antwort auf die Frage: „Wieso führe ich mit manchen bessere Gespräche als mit anderen?“, die Frage ist. Neulich traf ich einen Bekannten zum Spazierengehen. Wir hatten uns ewig nicht gesehen. Corona, dies das, ihr wisst schon. Es gab vieles aufzuholen, weshalb wir bei dem unmittelbaren Wiedersehen gar nicht wussten, wo wir anfangen sollten. „Wie gehts?“, half als Einstieg, war aber unzureichend, wenn man sich ein halbes Jahr nicht gesehen hat. Wie meinst du, wie es mir das halbe Jahr ging, oder wie? Äh, keine Ahnung. Schwer zu sagen.
Good old introvert
Was mich früher – good old introvert – maßlos überfordert hätte, kann ich heute besser. Berlin sei Dank! Denn wer in eine neue Stadt zieht, muss ständig neue Konversationen führen, um neue Menschen kennenzulernen. Ich hatte Dates, ohne zu daten. Ständig hatte ich Blind Dates mit Personen, die ich von Instagram oder Twitter kannte. Freundschaftliche Dates, die ein hohes Maß an Konversation erforderten: Basic Konversationen, Small Talk, Schnacken, was irgendwann bestenfalls in Deep Talk, Intimität, oder totalen Quatsch (in a good way) mündete.
Der Abend mit meinem Kumpel war schön. Doch mir fiel auf, dass er mir den gesamten Abend über keine einzige Frage stellte. Als dieser Groschen fiel, veränderte er meine komplette Sichtweise auf Kommunikation, die da ist: Wir sind alle ganz schön schlecht in Kommunikation. Denn je länger ich darüber nachdachte, desto bewusster wurde mir, dass viele meiner GesprächspartnerInnen keine Fragen stellten. Als ich den besagten Freund im Nachhinein darauf aufmerksam machte, sagte er nur: „Sorry. Mich interessiert halt nicht so viel.“
Wie wär’s mit Fragen stellen?
Bummer. Ähm, okay Kyle. Aber mich interessiert es auch nicht brennend, zwei Stunden über dein zweites Bachelor-Studium zu reden. Ich war völlig baff von so viel Arroganz, die da aus ihm sprach. Wieso bildete er sich ein, mein Interesse an ihm wäre legitimer als umgekehrt? War es etwa das, was er damit sagen wollte?
Natürlich sind Fragen da, um ehrlichem Interesse Ausdruck zu verleihen. Doch sie sind außerdem ein Tool für Konversation. Denn wenn ich ganz ehrlich bin, war mein Interesse an dem Studi-Gespräch schon nach ungefähr zwanzig Minuten gestillt. Alles darüber hinaus entsprang aus einem einseitigen Frage-Antwort-Spiel. Hätte ich diese Fragen in dem Gespräch nicht gestellt, wäre das Gespräch schlicht ausgelaufen. Wenn nur eine Person von Zweien im Gespräch das Tool beherrscht, entsteht ein Ungleichgewicht. Das Gespräch wird zu einem Vorstellungsgespräch.
Ich glaube nicht, dass mein Freund – nennen wir ihn weiterhin Kyle – kein Interesse an mir hat. Er war einfach faul. Er hat sich berieseln lassen und das Konversationsruder an mich übergeben. Ich war die Moderatorin des Gesprächs und damit fühlte er sich wohl. Wahrscheinlich hatten wir uns seiner Meinung nach ganz großartig unterhalten – er musste ja gar nichts dazu beitragen. Dafür gibt’s eine Teilnehmerurkunde.
Gerade in engeren Freundschaften ist es auch okay und schön, mal faul zu sein. Mal nicht so viel zu sagen zu haben. Ich bin introvertiert und habe gerne mal nichts zu sagen. Doch bei Dates – ob romantischer oder freundschaftlicher Art – freue ich mich über etwas Engagement. Ein gutes Gespräch entsteht manchmal ganz zufällig, doch manchmal braucht es etwas Hingabe, um an diesen Punkt zu kommen. Das können zwar manche besser als andere, doch wenn ich etwas über Konversationen gelernt habe, dann ist es, dass Konversationen lernbar sind.
6 Antworten zu “Berlin Diary: Wir sind alle ganz schön schlecht in Kommunikation”
Ich glaube ich wäre genauso gewesen und hätte bereitwillig das Ruder übernommen, um die schleppende Konversation locker-flockig weiterzuführen und nicht zu warten, bis da eventuell, vielleicht noch eine winzige Frage an mich von seiner Seite kommt … irgendwie hinterlässt aber so ein Treffen trotzdem einen schalen Nachgeschmack, findest du nicht? Darum geht es ja gar nicht in deinem Text, aber ich finde, er hat es nicht so wirklich verdient, dass du dich weiter mit ihm triffst ;-)
Liebe Anne, ich verstehe deine Gedanken, jedoch glaube ich nicht, dass es sinnvoll wäre, direkt den Kontakt abzubrechen. Manche haben eben mehr Schwächen in Sachen Kommunikation als andere. Drüber reden und nachsichtig sein ist da eher meine Herangehensweise! :)
Der Titel ist tatsächlich ein bisschen reißerisch, den Inhalt finde ich aber ganz gut :P Ich habe auch hin und wieder drüber nachgedacht und stimme dir in vielen Punkten zu. Und ich finde gerade deine letzten zwei Sätze ziemlich beruhigend – für mich und meine Gesprächspartner:innen
Liebe Mai, das freut mich!
Hi Amelie, mir geht es da wie dir und ich hatte in der Vergangenheit ganz schön mit Frust in der Richtung zu kämpfen- insbesondere bei meinen Lieblingsmännern. Ich habe mir da zwei Strategien ausgedacht, die mir besonders bei guten Freunden, weniger bei Fremden, geholfen haben.
a) aufhören, selber sofort die Stille zu füllen. Damit andere Fragen stellen oder die Abstinenz der Fragen überhaupt bemerken, hat es mir geholfen, Stille entstehen zu lassen. Häufig waren meine Liebsten bislang auch einfach nur langsamer als ich und wenig geübt im Fragen stellen.
b) Feedback geben. „Hey, frag mich doch mal auch ein paar Sachen, ich hab jetzt schon so viel über x gehört und würde mich freuen, wenn du nun auch mit Fragen dein Interesse ausdrückst“ oder ähnlich.
Und ansonsten achte ich inzwischen penibel darauf, dass neue Freund*innen dazu schon in der Lage sind, da ich keine Lust habe diese Form der Care-Arbeit auch noch in meiner Freizeit für bislang Fremde zu leisten. Bei alten Freunden drücke ich da ein Auge zu.
(aja, das Thema lässt die Tasten klappern. Könnte da jetzt ewig zu weiterschreiben..)
Absolute Zustimmung, genau diesen Gedanken habe ich auch schon oft gehabt! Mich würde mal interessieren, ob du denkst, dass es da ein Geschlechter-Gefälle gibt? Diese Erfahrung habe ich unglücklicherweise gemacht… aber ich bin unsicher, ob es mir bei weiblichen Personen vielleicht einfach weniger auffällt.