Berlin Diary: Das elendige Bedürfnis, gemocht zu werden

25. April 2019 von in

Angenehm und höflich. So wurde ich neulich von der Freundin einer Freundin beschrieben und ich bin mir sicher, so stolz wie meine Freundin mir von dieser Beschreibung über mich erzählte, dass das auch ganz und gar positiv gemeint war. Angenehm und höflich sind schließlich auch positive Attribute, finde ich.

Angenehm, das sind ruhige Katzen, die nie nerven und immer genau richtig anschmiegsam und liebesbedürftig sind. Angenehm ist das Wetter, das nicht zu kalt und nicht zu heiß ist, der heutige 25. April, an dem eine leichte Jacke genügt. Angenehm ist ein leichter Schwips, ein Kaschmirpullover, Halbschatten, die weiche Haut von Pfirsichen, Meeresrauschen, eine frische Brise an Sommertagen, luftige Turnschuhe mit bequemem Fußbett, Fische im Aquarium beobachten, Körpertemperatur. Angenehm ist der Zustand in perfekter Balance. Der meist kurze Moment der Ausgeglichenheit, der weder von Unzufriedenheit, noch Sehnsucht überschattet wird.

Höflich sind aufmerksame Menschen, die an ihr Umfeld denken und die keinem auf den Schlips treten wollen. Angenehm und höflich sind zunächst positive Attribute, die aber, wenn sie überhand nehmen, nichtssagend werden. Sie werden zu Eigenschaften, die man einer Bekanntschaft zuschreibt, an die man sich kaum erinnern kann. Profillos. Mit dieser scheinbar positiven Observation lag die Freundin meiner Freundin gar nicht so falsch. Denn seit ich in Berlin wohne, habe ich das Gefühl, mein Charakterprofil abgelaufen zu haben, wie einen Schuh, den man schon ein Jahr zu lange trägt, obwohl er sich nach einer Inspektion beim Schuster sehnt. Glatt, universal einsetzbar, aufmerksam, ein Chamäleon der Gesellschaft.

Bist du neu hier?

Seit ich in Berlin wohne, bin ich konstant von neuen Menschen umgeben. Meine engste Bezugsperson kenne ich gerade mal zwei Jahre, neu gewonnene Freundinnen seit nicht mal einem Jahr und langjährigere Bekanntschaften sind eben bis heute nur Bekanntschaften. Ich versuche konstant die Aufgabe zu meistern, Freundschaften zu vertiefen und neue Bekanntschaften zu machen. Mentale Stützen, Felsen in der Brandung, gibt es mittlerweile nur noch aus der Ferne und so sehr ich es liebe in Berlin zu leben, so schwer ist es bei genauerem Hinsehen, ich selbst zu sein. Was auch immer das überhaupt bedeutet.

Keiner hier hat mich jemals weinen gesehen, mit keinem habe ich bisher im Schlafanzug über Sex oder Stuhlgang diskutiert, keinem habe ich die Haare beim Brechen gehalten, mit keinem bei Liebeskummer die Menschheit verflucht, keiner hat mich, seit ich hier wohne, aus der Reserve gelockt. Ich hatte mich konstant ein Jahr unter Kontrolle und fühle mich dabei unter dem Prüfstand dieser Stadt: Wie macht sich die Neue?

Ich bin immer „die Neue“, die sich den bereits bestehenden Freundeskreisen versucht anzupassen. Und da ich so beschäftigt damit bin, seit einem Jahr im kalten Wasser, in das ich mich selbst hineingeworfen habe, zu schwimmen, hatte ich bislang noch keine Kapazitäten für den Feinschliff meines Schwimmstiles. Gerade geht’s darum, so wenige Wellen wie möglich dabei zu verursachen, damit ich keinen beim Schwimmen störe. Ich bin so bedacht darauf, angenehm und höflich zu sein, dass ich meinen Charakter ab und zu dabei zu vergessen scheine.

Wer so darauf erpicht ist, gemocht zu werden, wird profillos. Das erfahre ich gerade am eigenen Leib und so wichtig es auch ist, kein rücksichtsloser Arsch zu sein, so wichtig ist es auch, ab und zu mal den Kopf abzuschalten und einfach mal Mensch zu sein, ohne einen Fick darauf zu geben, was andere wohl davon halten. Einige werden dieses Verhalten albern finden, unangebracht, humorlos, doof, nervig oder gar unangenehm, aber wer sich zu lange unter Kontrolle hat, verliert sich selbst.

Loslassen

„Irgendwo da draußen wird es immer einen Menschen geben, der dich nicht ausstehen kann. Und es gibt nichts, was du dagegen tun kannst.“. Dieser Satz hat mir schon oft geholfen und wird es auch jetzt wieder tun. Denn nachdem ich mich damit abgefunden habe, dass mich in München sicherlich einige Menschen nicht mögen, muss ich das jetzt eben auch in Berlin tun. Und mich einfach mal trauen, mich selbst aus der Reserve zu locken. Loszulassen.

Manchmal ist es schön, nichts sein zu müssen und ohne Ecken und Kanten durchs Leben zu wabern. Durchzuschnaufen und die Energiereserven für andere Dinge zu nutzen. So lange, bis das Leben wieder sortiert ist. Wenn dann das Gröbste geschafft ist, darf die Lust auf Ecken und Lautstärke jedoch ab und zu wieder zurück kommen. Denn es wird auch dann immer die Menschen geben, die diese Ecken ziemlich gut finden. Und das ist doch das Allerschönste an Freundschaften: gemeinsam den Kopf abschalten zu können.

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8 Antworten zu “Berlin Diary: Das elendige Bedürfnis, gemocht zu werden”

  1. Toller Text.
    Gib dir Zeit :-). Ich denke, es dauert eine Weilchen mehr als bloss ein Jahr, bis sich deine Bekannten (oder einige davon) zu engen Freunden entwickeln.

  2. Schön geschrieben!
    Ich muss aber mal eine Lanze für die angenehmen und höflichen Berliner brechen. Nach bald 20 Jahren hier freue ich mich über jeden Menschen, den man als angenehm und höflich charakterisieren möchte. Und das bedeutet weiß Gott nicht, dass das profillose Langweiler sind. Nur die Mühe sollte man sich schon machen, diese Menschen näher kennenzulernen. Dann wird man oft mit sehr interessanten und erfüllenden Beziehungen belohnt. Nicht ohne Ecken und Kanten, mit Reibung, die aber positive Berlin-ick-liebe-dir-Energie freisetzt.
    Dem Gegenteil begegnet man hier leider öfter als einem lieb ist.

  3. Sehr schöner Text, der sich auf jede Stadt umlegen lässt, auf Menschen die rastlos sind und neue Herausforderung eingehen in der Hoffnung dieses Mal alles anders zu machen. Vielleicht muss man sich auch damit anfreunden, dass mit unterschiedlichen Lebensabschnitten, unterschiedliche Arten der Freundschaft und Beziehung einhergehen. Und man eben den Fels in der Brandung in der Ferne hat, die beste Freundin, den besten Freund der dich durch alle nennenswerten Hochs und Tiefs deiner letzen 15 Jahre begleitet hat. Dann lästert man über Tinder mit der neu gewonnen Freundin und den veränderten Stuhlgang (weil man auf Soja Milch umgestiegen ist) bespricht man am Telefon.

    Ich kann, ohne in Berlin zu leben, exakt das Gefühl nachvollziehen welches einen trotzdem an schönen Sonntagen die man mit Bekannten verbracht hat manchmal ereilt.

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