Berlin Diary: Amelies Wohnungssuche in der großen Patchwork-Stadt
Berlin ist groß. Berlin ist vielfältig. Und viel mehr als das kann man streng genommen nicht über „Berlin“ sagen. Denn Berlin hat so viele Facetten. Wenn mich meine Familie fragt, wie dieses ominöse Berlin so ist, sage ich meistens, dass meine bisherigen Erfahrungen hauptsächlich auf Neukölln und Kreuzberg zutreffen. Dort lebe und bewege ich mich. Wenn ich also von Hafermilch-Cappuccinos spreche, von Gentrifizierung, von guten Second Hand Stores und all den anderen Klischees aus der Hauptstadt, spreche ich von einem kleinen Teil aus Berlin, in dem sich diese Klischees auch bewahrheiten.
Keine andere Stadt in Deutschland hat so extrem unterschiedliche Viertel, wie Berlin. Natürlich ist das Lebensgefühl in der Münchner Maxvorstadt auch ein anderes, als beispielsweise in Untergiesing. Doch dort habe ich, egal wo ich mich bewege, immer noch das Gefühl, in derselben Stadt zu sein. In Berlin ist das anders. Manchmal fühlt es sich an, als wäre diese Stadt ein Patchwork aus vielen kleinen Städten. Mal schnuppert man Dorfluft, mal den Großstadtsmog. Das ist einer der Gründe, wofür ich Berlin so liebe.
Gerade wohne ich in Neukölln, doch da mein Freund und ich planen, in diesem Jahr noch umzuziehen, beschäftige ich mich intensiver mit der ganzen Stadt und all seinen facettenreichen Vierteln. Ich könnte mir vorstellen, in ziemlich vielen Vierteln zu leben, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Charlottenburg zum Beispiel. Das wohlhabende Viertel in Westberlin glänzt mit prachtvollen Häusern aus den Zwanzigerjahren und dem Charme des „alten Berlins“. Das sind zum Beispiel Lokale, in denen man Pellkartoffeln, Schollenfilet und selbst gemachtes Sauerkraut für 2,50 bekommt. Die Restaurants und Imbisse auf der Kantstraße leuchten am Abend bunt und lösen in mir ein Großstadtgefühl aus, das ich in diesem Ausmaß in Deutschland bisher nur auf der Kantstraße erlebt habe. Auf dieser Straße gibt es die besten chinesischen Restaurants, die ich je testen durfte, sowie warmen Apfelstrudel um 6 Uhr morgens. Hier kann man schlaflose Nächte haben, aber geht man in die kleinen Querstraßen hinein, ist man umgeben von Ruhe.
Wenn ich weniger Großstadtgefühl brauche und mehr innere Ruhe, dann besuche ich Moabit. Die Gehwege sind dort teilweise breiter als die Straßen, man ist umgeben von Grünflächen, die Menschen dort sind unprätentiös und sympathisch. Hier hört man die Vögel zwitschern und Kirchenglocken im Kiez rund um die Turmstraße. Kirchenglocken! Dieses Geräusch kenne ich nur aus meiner Kindheit. Ein bisschen Dorfgefühl in der Großstadt gefällig? Ja, unbedingt. Moabit steht ganz weit oben auf der Liste.
Etwas kleiner, aber nicht weniger charmant, geht es in Schöneberg zu. Auch hier steht Westberlin auf dem Programm, das sich in alten Lokalen äußert, die ein bisschen Berlins Geschichte erzählen, schrulligen aber liebenswerten Kunsthändlerinnen, verhältnismäßig wenig Gentrifizierung, ein bunt gemischtes Publikum aus allen Altersgruppen. Das ehemalige Arbeiterviertel ist weniger pompös als Charlottenburg und liegt zentraler an Kreuzberg und ist deshalb eines meiner Lieblingsviertel. Damit stehe ich aber leider nicht alleine da. Der Andrang ist hoch.
Apropos Gentrifizierung: Natürlich ist auch Mitte ein möglicher Kandidat. Wo Häuser rund um die Weinmeisterstraße und den Rosenthalerplatz vor nicht allzu langer Zeit alte KünstlerInnenateliers waren, günstige Galerien, wo linke Organisationen die Welt verbessern wollten und illegale Parties die anarchistische Seite Berlins auslebten, sind heute Boutiquen, Cafés, die ziemlich teuren Kaffee und Avocadotoast verkaufen. Doch abseits der beiden Stationen verstecken sich immer noch kleine Gassen und wunderschöne Altbauten, die bereits im späten 19. Jahrhundert erbaut wurden. Mitte ist nach wie vor eines der teuersten Viertel in Berlin, doch wer in den kleinen, unheimlich charmanten Gassen abseits der Shopping-Zonen, von der Heinrich-Heine-Straße bis hin zur Bernauerstraße, eine Wohnung findet, kann sich ganz schön glücklich schätzen. Vielleicht bin ich ja bald eine dieser Glücklichen.
Zu guter Letzt, aber nicht weniger interessant: Kreuzberg oder Neukölln. Hier hat sich die letzten zehn Jahre am meisten getan, doch die arabisch-türkischen Supermärkte, die Nussläden, die gebrannte Mandeln im Sesammantel verkaufen, die Linsensuppen, das frisch gebackene Brot, der schwarze Tee in den Shawarmaläden, sind glücklicherweise geblieben. Die Läden, die gerade Neukölln nicht nur maßgeblich prägen, sondern auch für die man Neukölln lieben muss. Ich bewege mich nicht nur die meiste Zeit in Neukölln und Kreuzberg, weil fast alle meine Freundinnen und Freunde dort leben, sondern weil die pulsierenden Straßen ein Glücksgefühl in mir auslösen.
Ich will mich bei der Suche nach einer neuen Wohnung in Berlin auf kein Viertel festlegen. Nicht nur, weil das aufgrund der Wohnungssituation fast unmöglich geworden ist, sondern, weil ich hier so vielen Vierteln etwas abgewinnen kann. So unterschiedlich diese auch sein mögen. Es ist, als wäre diese Stadt der sprechende Hut von Harry Potter, der mich schicksalshaft einem Viertel zuteilen würde. Wo es mich und meinen Freund hinverschlagen wird, steht bislang in den Sternen. In welchen Kiezen oder Viertel ich mich am meisten sehen würde? Vielleicht im Bergmannkiez. Vielleicht in Schöneberg. Vielleicht in Mitte. Vielleicht im Graefekiez. Vielleicht in Moabit. Ich kann es nicht sagen. Das ist doch die beste Voraussetzung! Und das schöne ist: Ich lerne durch die Suche endlich mal alle Viertel der großen Stadt besser kennen.
10 Antworten zu “Berlin Diary: Amelies Wohnungssuche in der großen Patchwork-Stadt”
Danke für den schönen Text. Deshalb liebe ich meine Heimatstadt auch so sehr, wegen der Unterschiedlichkeit. Ich kann übrigens Wilmersdorf sehr empfehlen. Ich lebe hier seit einigen Jahren zwischen Adenauerplatz und Olivaer Platz und genieße genau dieses Flair des alten Berlins. Meine Wohnung ist in Kudamm-Nähe und abends flaniere ich gern an den ganzen teuren Schaufenstern vorbei und fühle mich wie in den 1920ern. Geht man ein paar Straßen weiter Richtung Norden, ist man schon in Charlottenburg und der Kantstraße. Genial!
Wenn ich den Text und den einen Satz über München lese weiß ich, warum ich hier Zuhause bin. ;)
Mir ist Berlin zu viel, zu laut, zu groß. Es gibt einfach zu viele Möglichkeiten und ich will das ganze menschliche Elend, das einem begegnet, auch nicht jeden Tag sehen müssen. Das packe ich mental einfach nicht…
Gerne auf einen Besuch in Berlin und jedes Mal leicht froh, wieder im Zug nach Hause zu sitzen.
Ich habe vier Jahre in Hamburg gewohnt und muss sagen: Die perfekte Mischung, aber eben auch eher ein Millionendorf.
Und genau deswegen finde ich Amelies Text so schön: Denn Berlin muss nicht „zu viel, zu laut, zu groß und voller Elend“ sein. Das ist nicht Berlin – zumindest nicht nur, eher ein kleiner Teil. Man sucht sich einfach das passende Dorf in Berlin aus (hier vielleicht Grunewald oder Charlottenburg) und muss es dann nicht mal mehr großartig verlassen :)
Liebe Carla, ich verstehe, warum du gerne in München oder auch in Hamburg gewohnt hast. Ich habe Zeit meines Lebens in München gewohnt und kenne die Qualitäten dieser Stadt. Aber vielleicht kannst du dir in Zukunft abgewöhnen, andere Städte wie Berlin nicht abzuwerten damit, dass sie dir zu viel oder zu laut sei und du das „menschliche Elend“ nicht jeden Tag sehen möchtest. Schon klar, München ist sehr sauber und aufgeräumt, aber Berlin ist so vielfältig, dass es schlicht unmöglich ist, die Stadt zu verallgemeinern. Du hörst wahrscheinlich als Münchnerin auch nicht gerne, dass die Stadt sau spießig und langweilig ist. Allgemein würde es uns gut tun, wenn wir aufhören, öffentlich andere Städte herunterzumachen und uns stattdessen auf die Qualitäten unserer eigenen Städte besinnen :). Ich mag jedenfalls beide Städte sehr! Liebe Grüße!
Ich lebe seit über zehn Jahren in Friedrichshain. Schade, dass der Ostteil Berlins in deinem Text – und anscheinend auch in deinem Bild von Berlin – gar keine Rolle zu spielen scheint. Da entgeht dir was :-) Im sehr lebhaften Friedrichshain und dem immer lebhafter werdenden Pankow kann man toll wohnen, auch das vglw. teurere Prenzlauer Berg hat seinen Charme. Wer es ruhiger mag und im Grünen leben möchte, wird sicher in Köpenick oder Treptow glücklich. Das alte Ostberlin ist riesig, vielfältig und auf jeden Fall einen Blick wert!
Liebe Caro, du hast recht, Ostberlin entgeht mir gerade etwas. Ich bin gelegentlich mal im Prenzlauer Berg und finde das Viertel wunderschön!! Allerdings ist es mir dort zu „familiär“, weshalb ich mich da oft nicht ganz richtig fühle. Andererseits hat es dort, wie eigentlich überall, natürlich auch andere Seiten. Gerade Pberg an der Grenze zu Mitte ist der Hammer! Das Eck habe ich erst kürzlich für mich entdeckt und ist unter meinen Favoriten. Das Wenige, was ich bisher an Friedrichshain gesehen und erlebt habe, war leider nicht so meins. Aber das ist reine Geschmackssache – und ich bin mir sicher, dass ich da auch nur die wirklich schönen Orte noch nicht gefunden habe. Pankow ist ein guter Tipp, das sehe ich mir noch genauer an! :)
Ich habe in Berlin zuletzt in Weissensee gewohnt und das gleich um die Ecke zum gleichnamigen See. Dort kann man im Sommer toll baden und auch jede andere Jahreszeit ist an einem See einfach schöner – da hat es tolle Ecken – zB rund um den Antonplatz/Albertinenstrasse.
Zum Alex dauert es mit der Tram 15 Minuten.
Lieben Gruss Ava
[…] Mit dem bevorstehenden Umzug habe ich aber zum ersten Mal seit meinem jahrelangen Zwiespalt das Gefühl, einen Schritt in die richtige Richtung gemacht zu haben. Einen bewussten Schritt. Er ist nicht zufällig geschehen, sondern ich habe ein Jahr lang genau diesen Ort gesucht, an dem wir bald leben werden. Das neue Zuhause scheint der perfekte Spagat zwischen Ruhe, Natur und Stadt zu sein. Vielleicht ist er jetzt gelöst, der innere Zwiespalt in mir. PS: Es ist übrigens ein ganz anderes Viertel geworden, als ich dachte. […]
Eigentlich ein schöner Artikel, in dem ich mein liebes Berlin auch wiedererkenne. Wenn ich aber lesen „… weniger pompös wie Charlottenburg….“, ist mein Lektorinnenherz doch sehr beleidigt – schließlich schreibst Du ja professionell, da sollte der korrekte Gebrauch von „als“ doch selbstverständlich sein :)
Liebe Kerstin, danke für den Hinweis. Bei all den Artikeln, die wir veröffentlichen, passieren Fehler wie diese eben mal. Wir sind auch nur Menschen. Umso schöner, wenn unsere Leserinnen mitdenken. Liebe Grüße!