Zwischen Beauty-Doc und Akzeptanz: Werde ich älter oder nur selbstkritischer?
Triggerwarnung: Körperbilder
Ich hatte letztens einen Video-Call. Ich habe viele, mein Agentur-Job besteht zu 80 Prozent aus Calls, in denen wir intern Konzepte besprechen, Strategien aufsetzen und uns austauschen, um sie wenig später wiederum Kund:innen zu präsentieren. Das heißt auch: 90 Prozent meiner Agentur-Arbeitszeit sehe ich mich selbst. Ich sehe mein Antlitz, frühmorgens, wenn es sehr müde ist, abends, wenn es k.o. vom Tag ist, und zwischendrin, wenn ich fit und wach bin, aber vielleicht ein bisschen angespannt, weil ich eben eines dieser Konzepte vorstelle. Ich glaube, ich sehe mich zu oft.
Denn letztens dachte ich mir, irgendwie sind deine Augenringe dunkler als sonst. Die kommenden Tage achtete ich jeden Tag auf meine Augenringe. Sie wirkten plötzlich tiefer, dunkler, und waren irgendwie immer da, obwohl ich gut geschlafen hatte. Make-up richtete es, und doch stand ich nicht nur einmal abseits der Meetings vor dem Spiegel, auf der Suche nach weiteren Veränderungen. Ist mein Gesicht noch prall? Sinkt meine Haut ab? Welche Alterserscheinung zeigt sich wirklich?
Ich verstand plötzlich Influencer:innen, die täglich in die Kamera sprechen. Verstand, dass sie Filter benutzen, sondern meistens auch irgendwann zu beständigeren Dingen wie Botox & Co. greifen. Ich verstand plötzlich auch, was es bedeutet, sich jeden Tag zu sehen, sich genau unter die Lupe zu nehmen und vor allem erste Alterserscheinungen im Jetzt wahrzunehmen. Und nicht erst, wenn man 20 Jahre alte Bilder ansieht.
Bin ich nun älter oder einfach nur selbstkritischer?
Ich habe großes Glück. Meine Gene sind eigentlich sehr gut, ich altere meines Erachtens langsam und habe bislang kaum Falten. Meine Großmutter sah mit 80 noch wie knackige 60 aus, mein Vater wirkte mit Mitte 60 wie Anfang 40. Und so weiß ich selbst, dass Gene viel davon ausmachen, wie alt man am Ende wirklich aussieht. Neben den allseits bekannten Präventionen wie genügend Wasser, Lichtschutzfaktor und möglichst keine Sonnenbäder in der prallen Sonne. Auch Rauchen und zu viel Alkohol sollte man lassen, und auch Schlafmangel ist keine Schönheitskur.
Und auch wenn ich vor allem in jungen Jahren immer eher die Fraktion „natürlich altern“ war, lässt sich nicht verneinen, dass ich auf all diese Präventionsmittelchen achte. Ich habe nie geraucht, war nie im Solarium, nutze jeden Tag Sonnenschutz und versuche, möglichst immer acht Stunden zu schlafen. Nahrungsergänzungsmittel und Sport sollten den Rest richten. Doch dann kamen die Video-Calls und ließen mich irritiert zurück.
Es störte mich, dass ich nicht mehr so frisch aussah. Dass ich plötzlich wirklich Make-Up brauchte, um fit zu wirken. Und es störte mich, dass es mich störte.
Ich bin froh, dass wir in einem Zeitalter leben, in dem wir alle ganz individuell unsere Alterung beeinflussen können. Dass wir Dinge, die uns belasten, an unserem Körper, im Gesicht, ganz minimal invasiv oder operativ verändern können, sodass sich das Individuum wieder besser, schöner oder einfach angekommener fühlen kann. Botox, Filler und Co. sind für viele Menschen ein Geschenk. Man muss sich eben nicht mit allem abfinden, was einen belastet und sich immer akzeptieren. Denn nicht alles ist immer nur eine Frage des Mindsets, sondern manchmal eben einfach nur: eine Belastung. Manchmal ist es schwer, sich im Spiegel anzusehen und sich schön zu finden. Und manchmal sind Botox, Filler und Co. dann eine Hilfe.
Botox, Filler und Co. sind aber auch ein Fluch. Wenn ich all die immer gleichen Gesichter junger Menschen sehe. Ich bei Datingshows Personen verwechsele, weil die Gesichter so austauschbar geworden sind. Wenn der Gang in den OP-Saal zur Normalität wird. Wenn der schmale Grat zwischen Natürlichkeit und verzerrter Wahrnehmung überschritten wird. Und wenn ich, die eigentlich sehr im Einklang mit sich selbst ist, merke, wie ich anfange auch zu denken, vielleicht, ja vielleicht sollte ich mich einmal beraten lassen. Was man denn in meinem Alter so tun oder besser gesagt optimieren kann. Oder schlimmer: Wenn ich denke, vielleicht ist es schon zu spät.
Ich denke, was kann man tun. Oder: Hilfe, vielleicht ist es schon zu spät?
Ich gehe gerne zu einer guten Beautybehandlung. Ich kaufe teure und nicht ganz so teure Cremes. Ich kenne alle guten Lichtschutzfaktor-Sprays, und ich bin immer auf der Suche nach der einen Haarpflege, die meine Haare noch weicher und schöner macht. Ich mache viel Sport, um mich wohl in meinem Körper zu fühlen und meinen Geist gesund zu halten. Ich ernähre mich gesund und bewusst, da es mir wichtig ist, meinen Körper mit der richtigen Nahrung zu unterstützen. Aber will ich wirklich noch mehr an mir herumoptimieren? Und wie finde ich den richtigen Grat zwischen sanfter Optimierung und meinem auferlegtem und zeitweise vergessenem Mantra von „natürlich Altern“?
Wie normal Beauty-OPs geworden sind, dazu gibt es zahlreiche Statistiken. Allein in Deutschland gab es im Jahr 2021 knapp 500.000 chirurgische Eingriffe, mehr als doppelt so viel wie noch vor zehn Jahren. Weltweit gab es 30 Millionen chirurgische wie nicht chirurgische Schönheitseingriffe. 7,3 Millionen davon alleine waren Botox-Behandlungen. Ist das gut, weil immer mehr Menschen mit ihren Themen Hilfe finden? Oder ist das schlecht, weil immer mehr Menschen denken, sie müssen sich verändern? Übrigens: 88 Prozent aller Schönheits-Patient:innen sind Frauen. Ein Zufall, oder doch ein Konstrukt unserer patriarchalen Gesellschaft, in der die Frau nicht altern darf oder zu einem selbstkritischen Wesen herangezogen wird? Die Wahrheit, sie liegt wahrscheinlich irgendwo in der Mitte.
Zwischen sanfter Optimierung und meinem eigenen auferlegtem Mantra „Natürlich Altern“
Ich hasse es, dass ich denke, ich bin vielleicht längst zu spät dran. Gleichzeitig weiß ich, dass ich es als normschöner Mensch eigentlich einfach habe und noch leicht daherrede. Ich kann mich die meiste Zeit so wie ich bin akzeptieren. Weil ich gute Gene habe. Weil ich mich mag. Weil mein Selbstbewusstsein sehr groß ist. Weil ich bereits vieles mache, um mich in meinem Körper wohlzufühlen. Und weil ich mich nur an kleinen Alterungserscheinungen aufhänge, die mich in Video-Calls nerven, am Tagesende meistens jedoch keine große Rolle spielen.
Individualität vor Konformismus
Mich belastet das Thema nicht. Ich mag mich. Und ich bin schon immer mehr Team Akzeptanz. Mich annehmen, die kleinen Fehler erkennen und lieb gewinnen, statt sie mit schnellen Mitteln auszubessern. Ich mag es, wenn Individualität vor Konformismus kommt. Ich weiß, dass wir alle altern. Der eine schneller, der andere weniger. Außerdem bin ich ein Angsthase. Und ich bin mir nicht sicher, wie viel Energie, Zeit und Geld ich in den nächsten Jahren in meine Erscheinung stecken will.
Wenn ich die Real Housewives von Beverly Hills schaue, lautet meine Antwort: viel. Ich will mit 45 genauso frisch aussehen wie Erica in der 8. Staffel. Und das bedeutet: Hallo Beauty-Doc! Wenn ich meine Familie, meine Mutter, meinte Tante oder meine Großmutter ansehe, lautet die Antwort: keine. Sie sind so schön, wie sie sind. Aus einer Zeit, in der Botox und Co. keine Rolle spielten.
Optimierung nach innen statt außen
Gehe ich tief in mich und spreche ich mit Freund:innen ist die Antwort klar: Wichtiger als unser Erscheinungsbild ist uns unser Geist. Wir möchten nicht zu viel Energie und Gedanken in unser äußeres Erscheinungsbild stecken, sondern in unsere Köpfe. Vielleicht nochmal studieren, mehr lesen, neue Hobbys ausprobieren und vor allem mit Menschen reden, von denen wir lernen können, die uns inspirieren. Ich persönlich möchte meine Energie und Kraft hauptsächlich in Projekte stecken, die mein Herz hoch schlagen lassen, vielleicht auch diese Welt ein Stückchen besser machen und noch mehr schreiben. Ich will mich nicht die nächsten Jahre die meiste Zeit gedanklich an meinen Körper und mein Antlitz binden. In jeder freien Sekunde nach dem Fehler, der Falte suchen, die es im Alterungsprozess zu stoppen gilt. Oder meine Zeit bei Ärzt:innen verbringen statt mit meinen Liebsten. Außerdem: Ich liebe es, wenn wir Menschen irgendwie alle individuell aussehen. Unsere ganz eigene Geschichte erzählen – innen wie außen. Und vielleicht gehört es auch dazu, manche Dinge eben nicht zu lieben, aber zu akzeptieren. Und die Aufmerksamkeit woanders hinzulenken? Aber who am I to judge? Dass beides geht, Optimierung innen wie außen ist keine Frage. Ich frage mich nur, wohin gehe ich?
Ich will mich nicht die nächsten Jahre gedanklich an meinen Körper und mein Antlitz binden. In jeder freien Sekunde nach dem Fehler suchen, den es im Alterungsprozess zu stoppen gilt.
In meiner Freund:innen-Bubble bin ich wohl die einzige, die überhaupt diese Gedanken in irgendeiner Weise hegt. In der Influencer:innen-Bubble bin ich wiederum wohl die einzige, die ein Brauen-Lifting gemacht hat und es schon als krassen Eingriff in die natürliche Schönheit sah. Und so wird es am Ende wohl ein Mix aus meinen beiden Welten. Eine Mischung aus der eigenen Akzeptanz für die Alterung und kleinen Optimierungen, die mich wohlfühlen lassen. Das kann am Ende einfach eine weitere Gesichtsbehandlung sein oder eben doch vielleicht irgendwann etwas Filler. Für den Moment ist es vor allem eines: Ein Bewusstsein für mich entwickeln, Veränderungen annehmen und ein Gefühl dafür bekommen, ob es belastet oder einfach nur registriert wird.
Ich muss mich wohlfühlen, in meiner Haut, mit meinen Entscheidungen. Nur ich. Und im Moment ist der Gang zum Beauty-Doc eher etwas, was mich noch unwohl fühlen lässt. Also bleibe ich bei Make-Up, Sport und Lichtschutzfaktor. Und natürlich gibt es Dinge, die ich nicht mag, nicht vollumfänglich liebe an mir. Wie meine Augenringe. Meine manchmal zu frizzigen Haare. Oder meine niemals richtig langen Fingernägel. Aber es ist okay.
Vergangene Woche hatte ich frühmorgens einen Termin, ungeschminkt, mit meinen gefühlt zu tiefen Augenringen sprang ich hin. Als die Menschen um mich herum über das Altern ab Mitte 30 sprachen, lächelten sie mich müde an. „Davon weißt du ja noch nichts.“ Ich lachte laut auf. „Mit 36 kann ich davon ein Lied singen“, entgegnete ich in die entgeisterten Gesichter, die ich als so gar nicht als alt empfunden hatte. „Was? 36? Du siehst noch so jung aus, welche Pflege nutzt du?“ Es ist alles eine Sache der Perspektive.
Eine Antwort zu “Zwischen Beauty-Doc und Akzeptanz: Werde ich älter oder nur selbstkritischer?”
Sehr interessantes Thema, was auch in meinem Freundeskreis immer mehr diskutiert wird seit die 30er geknackt sind und ich glaube das ist sehr stark gesellschaftlich bedingt. Man wird ja fast täglich drauf hingewiesen, dass man gegen Altern etwas unternehmen muss, aber warum eigentlich?
Ich hadere auch mit ersten Fältchen und grauen Haaren, da bin ich ganz ehrlich. Grundsätzlich sehe ich Altern aber als Privileg. Wenn man 90 werden möchte, dann vermutlich nicht im Körper einer 20 Jährigen und ist doch auch irgendwie schön, dass man uns das Leben ansieht? Bei meiner Mama ist es mir zum Beispiel total egal wie viel Falten sie im Gesicht hat und so sollte das bei einem selbst eigentlich auch sein.
Trotzdem kann das natürlich jeder selbst entscheiden und wenn dann die eine Zornesfalte eben doch so sehr nervt, dann ist es ja auch spannend wie weit die Beauty Docs da mittlerweile sind – man sollte sich nur fragen für wen man das am Ende macht und ob wirklich für sich selbst.
Ich möchte am liebsten 90 und gesund sein – und dafür ist der innere Ansatz, den du beschreibst, auch meine Philosophie. Dann gerne auch mit ganz vielen Falten im Gesicht.