Mein Struggle mit dem Altern und warum ich mich dennoch gegen Schönheitseingriffe entschieden habe

7. Februar 2024 von in ,

Letztes Frühjahr sitze ich schwitzend auf dem Behandlungsstuhl einer Schönheitspraxis in Australien an der Gold Coast. Ich wollte mich mit etwas belohnen für die harten Wochen, die diesem Termin vorausgegangen waren. Die Ärztin schaut sich mein Gesicht genau an, ich soll die Stirn runzeln, Augenbrauen heben – eben einmal den kompletten Zirkus durchtanzen, damit sie sieht, welche Wege meiner Haut es zu betäuben gelte. Als sie mein Alter hört, schnalzt sie fast mit der Zunge, because it’s a little late with almost 34. Aber good thing, dass ich nun da sei.

Die Nadel mitsamt der empfohlenen Menge Nervengift landet letztlich doch nicht in meiner Haut, da ich a) eine wirklich arge Angst vor Nadeln habe und b) mir bei den möglichen Nebenwirkungen echt anders wird: Erschlaffen, ungleichmäßige Mimik, nachträgliches Ausbessern, etc.*

Ich schäle mich erleichtert aus dem Behandlungsstuhl, denn ich werde zwar meine Haut weiter im freien Fall lassen, aber immerhin riskiere ich keine Lähmung oder Asymmetrie in meinen Gesichtszügen. Zumal die Behandlung etwa alle drei bis fünf Monate aufgefrischt werden müsste, um ‚the best results‘ zu erreichen. Weiß auch nicht, was ich mir gedacht habe, aber da war ich doch ein bisschen naiv zu glauben, dass alle paar Jahre reichen würde, um frisch die restlichen 30er zu begehen.

Die darauffolgenden Monate bin ich sehr auf die Stirn- und Augenpartie von meinen Mitmenschen fokussiert. Ich strenge mich an, zu erkennen, ob sie nachgeholfen haben und wenn nicht, wie ihre Haut und ihr Faltenstatus im Vergleich zu meinem abschneidet. So als gäbe es ein Race, denn ich erwische mich dabei, wie ich meinen eigenen sichtbaren Alterungsprozess an dem der anderen messe. Mein Kopf sagt ‚Ach schau mal, diese Person ist zwar fünf Jahre jünger, aber man ihre Stirn sagt das Gegenteil.‘ oder ‚Krass, er ist schon Ende 30 und sieht beinah 10 Jahre jünger aus‘ und bin entsprechend zufrieden oder beunruhigt.

Selbst die reflektiertesten, feministischen Freundinnen in meinem Leben, denken alle mal über Botox nach und manche helfen dann auch schließlich nach.

Wir alle gehen mal krachen unter dem male gaze, unter dem Patriarchat mitsamt seiner Langfinger.

Eine Sophie Passmann tanzt auf der Hochzeit von Dr. Emi, die Lipfiller und Botox in kleine verdauliche Instagram-Häppchen verpackt, die ihren Weg immer weiter in die junge Generation finden. Was sind das für Vorbilder, überlege ich oft. Ines Anioli verdient Geld mit ihren ‚Small tits‘ T-Shirts und Pullovern, lässt sich aber die Brüste machen. Bella Hadid wird zur schönsten Frau der Welt gekürt – wo ist der Maßstab? Beziehungsweise, was ist der Maßstab? Obwohl ich jetzt noch mehr Beispiele aufzählen könnte, belasse ich es dabei, denn letztlich geht es nicht darum, wer und was, sondern dass.

In diesem Jahr habe ich mich hingesetzt und ernsthaft gefragt, ob ich mich messen lassen möchte an Personen, die offensichtlich nachgeholfen haben. Und nein, das soll nicht das und vor allem nicht mein Maß der Dinge sein. Denn dann reibt sich vor allem der Kapitalismus die Hände: Wer Geld hat und bereit ist, Schmerzen auf sich zu nehmen, kann aussehen, wie Männer es – zumindest gerade – gerne mögen: Prallere Lippen, glatte Stirn, schmale Taille, großer Arsch. Bis sich ihr Geschmack wieder ändert.

Was neben dem Abstecken des Rahmens, in dem ich mich, ästhetisch gesehen, bewegen möchte, besonders wichtig ist: Meinen eigenen verurteilenden Kopf leiser oder idealerweise komplett auszustellen.

Es ist wie das Henne-Ei-Problem: Ist es die Selbstbestimmtheit einer Frau zu sagen, ich lasse Dinge korrigieren oder optimieren, weil sie denkt, es selbst zu wollen oder ist es ein tiefes Beugen unter dem Druck von einem vorwiegend patriarchalen Schönheitsideal? Niemand ist wirklich frei von äußeren Einflüssen und oft fällt es schwer, festzustellen: Ist das etwas, was mich wirklich selbst so tiefgreifend stört, sodass eine psychische Belastung entsteht, die leicht mit einer Korrektur ausgehebelt werden kann? Die Wahrheit liegt sicher irgendwo dazwischen und daher kann es hilfreich sein, darüber offen zu sprechen und alle Seiten zu hören.

Worum geht es einer Person, die sich die Stirn glatt spritzen lässt, um jünger auszusehen?

Wozu? Um attraktiver, begehrenswerter zu sein in einem System, in dem es normal ist, dass Frauen bis ins hohe Alter möglichst jung und frisch aussehen sollen? Jede Falte, die ich im Gesicht habe und jedes Runzeln, hat es sich verdient dort zu erscheinen. Bis zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben habe ich richtig gelebt und es gibt wenig, das ich wirklich bereue. Wenn ich nicht so viel gezweifelt, durchdacht und gelacht hätte, wäre ich nicht die, die ich heute bin und all das hat seine Berechtigung.

Auch ich lege immer noch oft meine Stirn in Falten, zoome bei Bildern ran um meine Augenringe sowie Falten zu checken und danke meinem Pony auch öfter mal, dass er meine Falten auf der Stirn meist gekonnt unter sich begräbt.

Aber ist es nicht etwas unrealistisch, die Erwartung zu haben, Frauen mit Mitte, Ende 30 sollen aussehen wie Mitte 20?

Ist das dann wirklich für die Person selbst oder wieder nur um einem patriarchalen Narrativ zu entsprechen? Verschwimmen nicht die Grenzen von Individual-Entscheidungen und einem kollektiven Feminismus, den wir doch so dringend bräuchten? Kann ich mir wirklich aussuchen, wann ich feministisch sein möchte oder nicht? Kommt das nicht einem Rosinen-Picken gleich und bleibt damit am Ende vor allem privilegierteren Frauen zugute? Unsere Körper bleiben nicht die gleichen, unsere Gesichter verändern sich immer weiter und das ist gut so. Stillstand ist keine Option, die ich freiwillig wählen würde und so sehr sich mein Leben immer wieder verändert, verändert sich auch mein Gesicht und meine Beziehung dazu.

 

*Bitte informiert euch immer ausführlich, bevor ihr euch Botox spritzen lasst oder lasst es einfach bleiben – außer eine medizinische Notwendigkeit erfordert es, wie zum Beispiel bei Migräne oder übermäßigem Schwitzen.

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2 Antworten zu “Mein Struggle mit dem Altern und warum ich mich dennoch gegen Schönheitseingriffe entschieden habe”

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