Vom Älterwerden und der Frage: Wie habe ich mich mit 30 zu verhalten?
Ich hatte nie Angst davor, 30 zu werden. Als sich mit Mitte Zwanzig meine Freundinnen den Kopf darüber zerbrachen, ob sie mit 30 wohl alleine da stehen würden, saß ich meist kommentarlos daneben und schaute blöd drein. Ich war immer sehr cool, was die Zahl Dreißig anging. Rückblickend etwas zu cool. Zu verständnislos. Ich hatte das Gefühl, mit Anfang und Mitte zwanzig ein gottverdammter Gandalf zu sein, der so selbstbewusst war, dass er sich von einer Dreißig nicht beeindrucken ließ. Die Dreißigerjahre fühlten sich mit Mitte 20 so weit weg an! Wieso hat man uns im Alter von 25 Jahren nicht gesagt, dass wir nur fünf Jahre von den 30ern weg waren? Zwar hatte ich damals keine genaue Vorstellung davon, wie meine Dreißigerjahre aussehen würden, doch ich wusste, dass mir die mit ihr verbundenen Erwartungen egal sein würden. Heute zähle ich die Tage zu meinem 30. Geburtstag und weiß, dass es einfach ist, eine Meinung von etwas zu haben, was „noch“ fünf Jahre entfernt ist.
Es stellt sich heraus: Ich war mit 25 nicht so weise wie Gandalf. Ich war wortwörtlich fünf Jahre von einem Alter entfernt, von dem ich mich Lichtjahre entfernt fühlte. Ich vergaß außerdem, dass neben meiner eigenen Einstellung zum Älterwerden auch die ganze Welt eine Meinung dazu haben darf – und diese auch ungefragt preisgibt. Ich werde im Februar 30, und meine Schultern werden schwerer von der Last der Erwartungshaltung, die die Gesellschaft auf mich ablegt. Sie will das Übliche von mir: Kinder und heiraten, ihr wisst schon. Immer und immer wieder schüttle ich diese Last von mir ab. Das geht auch noch relativ leicht, denn, wenn beispielsweise alle romantischen Komödien dieser Erde sagen, dass ich mit 30 gefälligst heiraten und Kinder kriegen soll, dann bockt mich das herzlich wenig. Zu fern liegt mir diese Welt, zu wenig identifiziere ich mich mit ihr. Doch wenn Personen aus meiner Realität, meiner eigenen Bubble, eine Meinung dazu entwickeln, wie ich mit 30 zu sein habe, dann wird es tricky.
Peinlich und „jung geblieben“
Eine Freundin zeigte mir neulich in einer Bar einen Tweet von El Hotzo. Kurz zur Erklärung, für diejenigen, die die letzten Jahre hinterm Mond gelebt haben: El Hotzo ist ein deutscher Comedian auf Twitter. Ich nenne ihn jetzt einfach mal Comedian, wahrscheinlich würde er mich dafür haten. Na, jedenfalls macht er ziemlich gute Jokes auf Twitter. Diese Gags haben Meme-Charakter und sind ein Stückweit Zeitgeschichte. Sie sind außerdem lustig und das, ohne auf Kosten von Minderheiten. Schon einige Male musste ich über den einen oder anderen Witz etwas laute Luft aus der Nase stoßen. In diesem Falle fauchte ich, statt zu schmunzeln. Denn El Hotzo macht sich in diesem Tweet über Anfang Dreißigjährige lustig, die sich nicht ihrem Alter entsprechend verhalten.
„angestrengt jugendlich wirkende Menschen Anfang 30 immer direkt siezen, um ihnen den Tag zu versauen“
Bevor jetzt alle mit den Augen rollen und sagen, dass ich keine Spaß verstehe und auch mal über mich selbst lachen kann, lassen wir das alles einmal im Kollektiv raus. Wir atmen alle zusammen tief ein und aus. Entspannt euch bitte, das hier wird keine Hassrede gegen El Hotzo. Ich mag ihn, und gerade das ist ja das, was mich stört. Gerade weil ich El Hotzo im weitesten Sinne als Teil meiner Bubble verstehe, der irgendwo im selben Boot sitzt wie ich, brachte mich sein Tweet zum Nachdenken. Zum ersten Mal stellte sich mir die Frage: Wie verhält man sich seinem Alter entsprechend?
Wie verhält man sich „seinem Alter entsprechend“?
Und im Umkehrschluss: Wie verhält man sich, wenn man sich „nicht seinem Alter entsprechend“ verhält? Welche Benimmregeln gilt es mit Dreißig zu beachten? Welcher Dresscode ist der richtige? Ich bin so verwirrt, denn was wollt ihr von mir, der Person, die kein Interesse an dem heteronormativen Weg „Heiraten, Kinderkriegen und Haus bauen“ hat? Wie habe ich mich eurer Meinung nach zu verhalten, um nicht peinlich „jung geblieben“ zu wirken?
Der korrekte Weg, den die Gesellschaft für uns vorgefertigt hat, scheint doch der zu sein: Je höher das Alter, umso ruhiger, zurücknehmender, unauffälliger und seriöser, kurzum langweiliger, haben wir zu sein. Alles andere wirkt falsch, peinlo, jung geblieben. Ihr könnt mir von mir aus eine Quaterlife-Crisis unterstellen, aber ich hasse das. Ich will heute keine navyfarbenen Slim-Fit-Anzüge tragen, und werde sie auch mit Vierzig nicht tragen wollen. Nur weil ich älter werde, heißt das doch nicht, dass ich den Spaß daran verlieren muss, mich auszuprobieren und zu verändern, meine Haare zu färben und komische Kleidung zu tragen. Ich will in meinen Dreißigern nicht allem fern bleiben, was mich in den Zwanzigern ausgemacht hat. Bin ich „jung geblieben“, wenn ich mit jüngeren Personen abhänge und ist es „in Ordnung“ wenn ich mit älteren Personen Zeit verbringe?
Wie verhält man sich eurer Meinung nach als Erwachsene korrekt?
Ich weiß nicht genau, was Erwachsensein bedeutet. Doch wenn es heißt, dass ich nur noch teuren Wein in Bars trinken darf, die um 23 Uhr schließen, dann will ich nicht erwachsen werden. Versteht mich nicht falsch, ich trinke gerne teuren Wein in Bars, die um 23 Uhr schließen. Doch ich habe gerne die Wahl und will meinen Lifestyle nicht von meinem Alter abhängig machen – genauso wenig wie meine Freund:innen. Arbeiten erwachsene Menschen viel und gehen früh ins Bett? Mal ehrlich, wie verhalte ich mich erwachsen? Trage ich als erwachsene Person keine Miniröcke mehr? Gehe ich als erwachsene Person auf keine Parties mehr? Habe ich als erwachsene Person einen ausgeklügelten Lebensplan?
Ich spreche nicht nur von meinen Dreißigern. Wie sieht es im Alter von vierzig, fünfzig und sechzig aus? Mich macht die Vorstellung traurig, dass ich gewisse Dinge vermeintlich nicht mehr tragen darf, da mein Körper irgendwann der Erdanziehungskraft erlegen und nicht mehr straff und jung sein wird. Und ehrlich gesagt will ich das auch gar nicht. Ich will nicht die Person werden, die im Alter verblasst, da sie so vielen gesellschaftlichen Konformen unterlegen ist. Die nichts mehr zu erzählen hat und sich stets zurücknimmt. Eine sechzigjährige Frau trägt Minirock und High Heels? Lass sie! Sie hat viel Sex mit unterschiedlichen Menschen? Lass sie! Sie lebt ihr bestes Leben? Wie schön für sie! Würden wir damit aufhören, andere für einen Lebensstil zu shamen, der scheinbar nicht ihrem Alter entspricht, hätten viele Menschen weniger Angst vor dem Älterwerden.
Das ist zumindest meine Theorie. Denn das Leben ist zu kurz und zu wertvoll, um nur die erste Hälfte davon auszuleben. Ich will auch in der zweiten Lebenshälfte Spaß haben – und riskieren, dass ich mich nicht meinem Alter entsprechend verhalte. Da ich nicht weiß, was das überhaupt bedeutet und es auch gar nicht wissen will. Ich will mein Leben leben.
6 Antworten zu “Vom Älterwerden und der Frage: Wie habe ich mich mit 30 zu verhalten?”
Liebe Amelie,
Ich bin jetzt 31 und kleide mich so bunt wie (fast) nie zuvor, weil ich auch in meinem Denken sehr viel unabhängiger und freier geworden bin. Ich hab das schon mal mit dem Kinderkriegen hinter mir (absolut nicht geplant und viel zu früh), aber bin jetzt alleinerziehend und mein Leben ist alles andere als gesellschaftskonform. Ich habe mich die letzten 2 Jahre intensiv mit sozialen Anforderungen beschäftigt und sehr viele davon über Bord geworfen. Daran gilt es für mich trotzdem jeden Tag zu arbeiten, es ist einfach durch Erziehung und vieles andere sehr tief verankert. Also ja, ich sehe das auch so: es gibt keine Regeln für bestimmte Altersabschnitte, außer man stellt sie für sich selbst auf! Ich hoffe das sehen in Zukunft mehr Menschen so und wir machen uns immer freier von allen Erwartungen und Judgements.
Liebe Grüße
Liebe Amelie,
ich kann zwar einiges nachvollziehen, was du hier schreibst, was mich allerdings stutzig macht, sind all die oberflächlichen Wertungen, die du selbst vollziehst. „Je höher das Alter, umso ruhiger, zurücknehmender, unauffälliger und seriöser, kurzum langweiliger, haben wir zu sein.“ ist nur ein Auszug, den ich als besonders unangenehm empfand. Wenn es um Kleidung geht, lese ich deinen Text rein wertend in „Spaß am Leben“= bunt, schrill und vermeintlich unkonventionell und „Angepasst und langweilig“ = Hosenanzug, gedeckte Farben usw.
Wenn du (zurecht) forderst, nicht für deinen Lifestyle und Alter geshamed zu werden, dann fände ich es nur allzu konsequent, deine eigenen Bewertungsmechanismen nochmal zu hinterfragen. Was diesen Lernprozess angeht, sitzen wir wahrscheinlich alle im selben Boot!
Liebe Grüße,
Hanna
Liebe Hanna, das stimmt natürlich. Das ist nur ein Aspekt von vielen, doch was ich ebenso anspreche ist der Lifestyle, also beispielsweise wie man sich sexuell auszuleben hat in einem gewissen Alter etc. Für mich persönlich spielt Kleidung eine extrem große Rolle – sicherlich sind den meisten Menschen gedeckte Kleidungsstücke einfach lieber :). Das hat natürlich überhaupt nichts mit dem Charakter und Spaß am Leben zu tun.
Mach Dir nicht so viele Gedanken. Du wirst Dich schon selbst verändern und bestimmte Dinge irgendwann gar nicht mehr wollen und Dich in bestimmter Kleidung irgendwann nicht mehr wohlfühlen. Das muss man nicht im Voraus planen. Kommt von ganz allein. Solange das noch nicht so ist, muss man auch kein Problem daraus machen. :-)
Hm ja aber hast du mal darüber nachgedacht, wieso man sich in gewissen Kleidungsstücken irgendwann nicht mehr wohlfühlt? Ich glaube, dass da unterbewusst extrem viel Shaming stattfindet.
Das stimmt natürlich. Vielleicht gelingt es Dir, das zukünftig auszublenden. Mir irgendwie nicht. Bin allerdings auch nochmal 10 Jahre älter. Die Dreißiger sind tatsächlich auch noch nicht das Problem…