Rezept: Acqua tonica
Meine frühesten kulinarischen Erinnerungen an Italien bestehen nicht aus Pizza, Nudeln oder Eiscreme. Das kannte ich alles schon, bevor ich vor ungefähr 20 Jahren das erste Mal die Alpen überquerte. Mein erster Kontakt mit einem Geschmack, den ich vorher nie bewusst wahrgenommen und von dem ich seitdem nicht mehr genug bekommen kann, ist der von bitterer Limonade.
Schon als Kind war ich fasziniert von den kleinen bunten Glasflaschen in italienischen Supermärkten. Sanbittèr, Crodino, Gingerino und wie sie alle heißen, kaufte ich in rauen Mengen noch lange bevor ich überhaupt wusste, dass so etwas wie aperitivo überhaupt gibt.
Später entdeckte ich Chinotto, die aus bitteren Orangen gemachte Limonade, die in Italien so häufig wie hierzulande Cola oder Spezi ist. Dann die bittere Aranciata amara und natürlich die unzähligen Varianten von Tonic Water, in Italien acqua tonica, acqua brillante und seine vielen Verwandten.
Um sich der Bedeutung von Tonic Water für Italien bewusst zu werden, muss man nur einmal durch die Getränkeabteilung eines noch so kleinen italienischen Supermarkts gehen, eine Tankstelle besuchen oder die Karte einer Bar aufmerksam lesen, wo zu jeder Tageszeit Menschen bittere Getränke konsumieren.
Manchmal reicht dafür aber auch ein Getränkeautomat, wie der auf dem folgenden Bild, dem ich vor ein paar Wochen an einem ziemlich alten, aber schönen Pool eines ebenso alten, aber ebenso schönen Golfclubs im Piemont begegnet bin.
Neben Saft (hier: Fruit) und Cola, ist Tonic eine Selbstverständlichkeit, noch bevor man überhaupt an Wasser oder Kaffee denken kann. Es ist ja auch wahr: Nichts erfrischt so gut, wie ein herbes, leicht säuerliches, bitteres Getränk bei über 30 Grad im Schatten – schon allein das Wort Tonic ist herrlich: ein Getränk, das einen tonisiert. Wie erfrischend und heilsam. Irgendwie muss man immer auch etwas romantisch verblendet an Medizin denken: daran, in der Hitze Indiens von Malaria geheilt zu werden.
Es ist also längst an der Zeit, es einmal selbst herzustellen.
Bei der Recherche nach Rezepten stieß ich teilweise auf reichlich abstruse Seiten. Von Gin-Tonic-Hipstern, die ihren Lieblingsdrink gern zur Religion erheben würden bis zu selbsternannten Feinschmeckern, die mit den exotischsten Gewürzen und feinsten Rezepturabstimmungen arbeiten. Und immer wieder las ich den Namen Jeffrey Morgenthaler, ein Amerikaner, der sich der feinen Bar-Kultur verschrieben hat und dessen Rezepte auf seinem Blog regelmäßig von Hunderten Menschen kommentiert werden.
Ich wollte es klassisch. So wie mir Tonic am besten schmeckt. Nach viel Zitrone und ein wenig Orange, nach ein bisschen pfeffriger Würze und vor allem mit einer ordentlichen Dosis Bitterkeit, die nicht durch die Süße des Zuckersirups überdeckt werden darf.
Allerdings: Für den letzten Rest Italianità gab ich noch ein paar Blätter Basilikum hinzu und kam dann zum Schluss auf folgende Liste von Zutaten, die ich hier ausnahmsweise mal mit genauen Mengenangaben aufschreibe. Einerseits, damit das Nachkochen nicht so schwer wird (und langes Experimentieren hier schnell zur wissenschaftlichen Arbeit verkommt), aber auch, weil ein wichtiger Bestandteil (nämlich der bittere) des Getränks die Chinarinde (dem Stoff aus dem Chinin gewonnen wird) ist, die bei zu hoher Dosis schnell nebenwirkungsreich bis gesundheitsschädlich werden kann.
Hier also erstmal die Zutaten mitsamt Erklärung:
- 100 Gramm Zitronengras (im Gegensatz zu reiner Zitrone, diffundiert das Aroma des Zitronengras auch gut in warmen Flüssigkeiten und gibt eine sehr gute Basis)
- 1 Orange (Saft und Schale)
- 1 Zitrone (Saft und Schale)
- 1 Limette (Saft und Schale) – die Limette ist von Natur aus schon ein wenig bitter, was uns natürlich sehr gelegen kommt
- Einen Esslöffel Pimentkörner (geben Würze, schmecken aber weniger aufdringlich als Pfeffer)
- Einen Teelöffel Salz
- 10 Gramm Zitronensäure (gibt es in der Apotheke, verbessert die Haltbarkeit und säuert)
- 15 Gramm Chinarinde (der wichtigste Bestandteil, weil er aus Zitronenlimonade etwas Bitteres macht – wer sich traut, kann auch ein bisschen höher dosieren, ich bin bis ca. 18 Gramm gegangen)
- Ein paar Blätter Basilikum (zum Schluss hinzugeben)
und später dann:
- 600 Gramm Zucker
Zu Beginn wiege ich bis auf den Zucker alle Zutaten ab, schneide sie klein und gebe sie zusammen in einen großen Topf. Ich gieße einen Liter Wasser dazu, koche das Ganze kurz auf und lasse es dann eine halbe Stunde auf kleiner Hitze ziehen. Das Wasser verfärbt sich dabei dunkelbraun, das kommt durch die verwendete Chinarinde.
Anscheinend kann man diesen Prozess auch komplett kalt durchführen, das heißt: alles zusammen für ein paar Tage abgedeckt in den Kühlschrank stellen und manchmal umrühren. Angeblich wird der Geschmack dadurch noch intensiver. Ich habe das nicht ausprobiert, weil ich mit der warmen Variante geschmacklich voll und ganz zufrieden war.
Nach einer halben Stunde wird die Flüssigkeit durch ein Sieb abgegossen und dann mehrmals filtriert. Ich habe dafür erst ein Tuch und dann diverse Teefilter benutzt (teilweise auch beides zugleich). Das Ergebnis ist ein trüber, bräunlicher Saft, der trotz gründlichen Filterns noch etliche Schwebeteile enthält.
Wer möchte, kann die Flüssigkeit jetzt nochmal kurz aufkochen und dann nach und nach den Zucker hinzugeben, bis er sich vollständig gelöst hat. Dann kann der Sirup in sterilisierte Flaschen abgefüllt, kaltgestellt und später mit kohlensäurehaltigem Wasser und einer Scheibe frischer Zitrone getrunken werden. Der Geschmack ist fantastisch.
Wer es allerdings richtig ernst meint mit der Limonade und nicht nur auf Geschmack, sondern auch auf Optik wert legt, kann noch einen weiteren Schritt anhängen und das Getränk von allen trüben Teilen klären. Das geht in einem recht umständlichen Prozess mit Gelatine, so wie es beispielsweise auch bei Wein gemacht wird. Eine vegetarische Variante, die zugleich ein besseres Ergebnis erzielt, ist die Klärung oder Schönung mit Agar-Agar, eines Geliermittels, das aus Algen gewonnen wird.
Hierzu wird ein Teil des abgekühlten Safts (ca. 300 ml) mit zwei Gramm Agar-Pulver verrührt und mindestens fünf Minuten stehengelassen um zu quellen. Danach wird das Gemisch langsam erhitzt und kurz vor dem Siedepunkt unter ständigem Rühren mit dem übrigen Saft vermischt.
Es ist wichtig, dass sich wirklich alle Bestandteile der warmen und kalten Flüssigkeit verbinden, deshalb lieber ein bisschen zu lange rühren als zu kurz. Dann wird alles kaltgestellt, wodurch es langsam geliert und zu einer Art Pudding wird.
Dieses Gel wird dann mit einem Messer oder Schneebesen in kleine Teile aufgebrochen und erneut durch in ein Tuch gegeben. Nach einiger Zeit (bei mir dauerte es fast sechs Stunden) ist die ganze Flüssigkeit durchgelaufen. Sie ist jetzt vollkommen klar. Die Trübstoffe bleiben im Gel gebunden und können entsorgt werden. Das ganz Vorgehen wird auf dieser recht bizarren Seite gut beschrieben.
Leider verliert das Ergebnis durch dieses Prozess natürlich auch an Masse, sodass aus ursprünglich einem Liter nur noch etwas mehr als die Hälfte übrig bleibt. Wer mehr herausholen will, kann das übriggeblieben Gel zum Schluss noch vorsichtig im Tuch auswringen, allerdings gelangen so natürlich auch wieder mehr Trübstoffe in die Flüssigkeit. Das klare Konzentrat kann nun wiederum mit Zucker gelöst und in Flaschen abgefüllt werden. Im Glas mit Wasser verdünnt, ist es dann nur noch leicht gelb und kristallklar. Der Geschmack bleibt voll erhalten.