6 Dinge, die ich am Dating mag
Jap, richtig gelesen. In diesem Text soll es um sechs Dinge gehen, die ich am Dating mag. Das überrascht vielleicht, denn: Es ist weitaus einfacher, Dating scheiße zu finden. Es gibt viel, was man daran nicht mögen kann. Dating ist oberflächlich, die Menschen sind unzuverlässig und scheuen Commitment. Dating geht immer auch mit Ablehnung zur eigenen Person einher – und das ist unangenehm.
Gibt man bei Google „Dating ist“ ein, ergänzt die Suchmaschine automatisch: anstrengend, langweilig, wie ein Nebenjob, Istanbul.
Ich habe noch niemanden getroffen, der gesagt hat: „Ich mache jetzt schon fünf Jahre Online-Dating und: I love it! Ich kann’s kaum erwarten, meinem nächsten Date zu erklären, was ich beruflich mache.“
Dass Dating blöd ist, ist also Konsens unter Singles – und damit Mainstream. Und wann immer etwas Mainstream ist, habe ich Lust, mal die Perspektive zu drehen. Was könnte man am Dating lieben? Warum tun sich Menschen das an, unbezahlt, in ihrer kostbaren Freizeit? Lasst uns gemeinsam genauer hinschauen. Hier kommen sechs Dinge, die ich am Dating mag:
Mit jedem Date tauche ich in eine fremde Welt ein
Selten in meinem Leben bin ich so vielen unterschiedlichen Menschen begegnet. Bin kurz in ihre Welt eingetaucht, habe zugehört, beobachtet und gestaunt. Da war der Ex-Geheimagent, der so belastet durch seinen Job war: der nicht mehr in eine Bar gehen konnte, ohne Menschen zu zählen und die Notausgänge auszuchecken (OMG, wenn ich das schreibe, kann ich es selbst nicht mehr glauben. Geheimagent? LOL). Der Halbitaliener, dessen Mutter gerade bei ihm lebte, weil sie sich von ihrem millionenschweren, möglicherweise mafiösen Ehemann getrennt hatte. Der Jurist, der eine Einschätzung abgab, wie viel unter Anwälten gekokst wird. Der Drehbuchautor, der mir von seiner Zeit im Writer’s Room in Hollywood erzählte.
Dating holt mich aus meiner gewohnten Bubble raus. Ich erwische mich manchmal im Alltag, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, wie man gegen Gendern oder Maßnahmen für mehr Umweltschutz sein kann. Und dann treffe ich wieder jemanden, der so anders ist als ich – so andere Lebensumstände und Sorgen hat und deswegen auch ganz andere Wünsche hegt.
Das gibt mir erstens eine Erklärung dafür, warum es so lange dauert, bis ich meinen Herzensmenschen finde. Es liegt eben nicht (nur) an mir: Es gibt einfach verdammt viele, verdammt unterschiedliche Menschen da draußen.
Diese ganzen verschiedenen Menschen „durchzuprobieren“ mit ihren individuellen Werten, Wünschen und Interessen – das nimmt Zeit in Anspruch, die Kombinationsmöglichkeiten sind aus statistischer Perspektive betrachtet unzählig. Dating is a number’s game! Das eigentliche Wunder ist doch, wenn trotz dieser Masse an Non-Matches mal ein Mensch dabei ist, bei dem alles passt: Werte, Wünsche UND Interessen.
Was ich auch erstaunlich finde: Obwohl ich diese Menschen vorab in den Apps matche und damit „vorsortiere“, sind sie immer noch so verschieden! Ist das nicht crazy?! Da sah einer passend aus, und dann passte der trotzdem nicht! DIE MENSCHEN SOLLEN AUFHÖREN SO ANDERS ZU SEIN ALS ICH, DAS NERVT! Hehe, kleiner Spaß. Aber das führt mich hierhin: Dating trainiert meine Toleranz. Es zeigt mir, wie bunt und vielfältig die Welt ist und wie unterschiedlich Menschen das Konzept “Leben” gestalten. Und dass diese eine Person, die mir gerade gegenübersitzt, vielleicht nichts für mich ist – es aber trotzdem total okay ist, dass sie existiert, und dass sie trotzdem ihren passenden Deckel finden wird. Genau wie ich. Irgendwann.
Die Begegnung mit Menschen, die anders sind als ich, führt auch dazu, dass ich in die Verlegenheit komme, Neues zu lernen. Dinge, die womöglich meinen Horizont erweitern. Das fängt mit praktischem Alltagswissen an: Von Björn zum Beispiel habe ich gelernt, dass man Pilze nicht waschen darf. Von Andreas, was Umami bedeutet. Marc-Oliver hat mir Amaretto Sour gezeigt. Von Christoph weiß ich, dass man Spaghetti Bolognese fünf Tage lagern und danach immer noch ohne Bedenken essen kann. Ich habe auch neue Empfehlungen für die Stadt bekommen, in der ich seit fast 16 Jahren lebe: Dank Tom habe ich die Bar „Call Saul“ entdeckt, die ganz im Stil von Breaking Bad gestaltet ist und wo die Cocktails so dampfen wie elementarer Phosphor, der stark erhitzt wird (Danke ChatGPT für diesen Vergleich). Felix findet, dass man in München am besten im Bahnwärter Thiel tanzen gehen kann. Toby hat mir die „Lange Nacht der MAP“ gezeigt, eine Veranstaltung der Münchner Arbeitsgemeinschaft für Psychoanalyse, bei der man erst gemeinsam einen Film guckt und danach renommierten Psychologen zuhört, wie sie die Figuren aus dem Film analysieren. I mean: WHAAAAT? Sowas gibt’s?
Ich wachse mit jedem Date
Es ist nicht so, dass ich immer Lust auf Dating habe. Ganz im Gegenteil: Oft habe ich gar keine Lust. Muss mich motivieren, rauszugehen und einer fremden Person meine Aufmerksamkeit zu schenken. Einer Person, die allein schon aus statistischen Gründen wahrscheinlich nicht „the one“ wird. Jedes Date ist eine Challenge für mich. Eine Challenge, die ich annehme.
Ich tue es für den Moment danach: Wenn ich nach Hause komme, voll mit frischen Eindrücken von einem fremden Menschen und seinem Blick auf die Welt. Und dann bin ich stolz auf mich. Stolz, dass ich mich überwunden habe. Dass ich über mich hinausgewachsen bin. Dass ich mein Liebesleben aktiv in die Hand nehme, anstatt passiv drauf zu warten, dass mein Prinz an meinem Sofa vorbeireitet. Dass ich in diesem neuen Date wieder etwas finden konnte, was mir an einem Mann gefällt oder nicht – sodass ich wieder ein Stück besser weiß, was ich suche. Dass ich wieder mal die Erfahrung gemacht habe, dass Dates doch ganz okay sind. Dass ich mich ganz gut geschlagen habe. Denn eine ganz klare Erfahrung von mir ist auch: Dating ist Übungssache. Ich persönlich bin mit jedem Date sicherer und souveräner geworden. Habe ich mir früher noch im Vorhinein überlegt, welche Fragen ich stellen könnte, so gehe ich inzwischen viel entspannter rein, weil ich weiß: Wird schon irgendwie. So lange ich offen bin und neugierig auf diesen neuen Menschen, wird’s schon werden. Go with the flow! Und diese entspannte Einstellung nehme ich mit in andere soziale Kontexte, wo ich in Zweier-Settings auf Menschen treffe: Beim Business-Lunch zum Networken, beim Treffen mit dieser einen Bekannten, die ich noch gar nicht gut kenne. Wird schon irgendwie. Ich bin also überzeugt: Dating hat mich zu einem sozial kompetenteren Menschen gemacht.
Jedes Date zeigt mir, dass Männer auch aufgeregt sind – und wir alle im selben Boot sitzen
Zuerst war es eine Vermutung, inzwischen ist es für mich eine Gewissheit: Auch die vermeintlich coolen Männer sind bei Dates aufgeregt. Woher ich das nehme? Ich bin Psychologin und meine Lieblingsbeschäftigung bei Dates ist es, mein Gegenüber im Stillen genau zu beobachten. Und ich habe das hier gesehen: zitternde Lippen, flatternde Finger, schwitzen, den Faden beim Reden verlieren, nervöses Lachen, das Handy während unseres Dates verlieren, steife Körperhaltung, Rede-Ergüsse, ohne dass ich zu Wort kommen konnte – und sich danach dafür entschuldigen mit den Worten: „Das ist die Aufregung, weißt du?“. Manchmal habe ich auch ganz offen gefragt: „Bist du eigentlich aufgeregt bei so einem ersten Date?“ Und habe darauf (mal, aber nicht immer) ehrliche Antworten erhalten. Manche haben auch von sich aus irgendwann erzählt, dass sie aufgeregt waren am Anfang.
Und das finde ich so schön! Warum sollten Männer auch nicht aufgeregt sein bei einem Liebes-Casting? Vielleicht lerne ich gerade meinen neuen Lieblingsmenschen kennen – das ist für alle aufregend, wir sind alle nur Menschen mit Gefühlen, Wünschen und Ängsten. Selbst bei den coolsten Typen denke ich mir: Hinter der harten Schale möchtest auch du einfach nur, dass dich jemand liebhat.
Und diese Erkenntnis hat dazu geführt, dass ich denke: Wir Menschen sitzen alle im selben Boot. Wir sind hier gerade nur zwei Vertreter der Spezies Homo Sapiens, die mit offenen Herzen raus in die Welt gehen und dabei zutiefst menschliche Gefühle haben. Let me give you a hug, we will be alright!
Dating gibt mir die Möglichkeit, Feedback zu meiner Person zu erhalten – und das ist manchmal überraschend nett
Für mich gibt es nichts Vulnerableres auf der Welt, als sich auf den Datingmarkt zu schmeißen. Sich aus der sicheren Höhle herauszutrauen, verschiedene Menschen zu treffen, mit der Frage auf dem Herzen: Könntest du dir vorstellen, dass wir uns liebhaben? Und wenn man emotional so blankzieht, dann bleiben Ablehnung und Frustration nicht aus. Dating ist Ablehnung – da führt kein Weg dran vorbei. Einfach, weil der Regelfall ist, dass es nicht passt.
In der Öffentlichkeit wird ja gerne das Bild vom unnahbaren Single-Mann gezeichnet, der nicht empfänglich ist für Gefühle und Bindung, und der auf Frauen-Herzen herumtritt. Meine Erfahrung ist eine ganz andere: Ausnahmslos alle Männer, die ich persönlich getroffen habe, waren sehr nett und zuvorkommend. Ich habe nicht eine beleidigende Erfahrung gemacht. Ich habe Ghosting erlebt, ja – allerdings nur bei Personen, mit denen ich lediglich gechattet hatte. Männer, die ich getroffen habe, und die dann kein weiteres Interesse hatten, haben das immer höflich kommuniziert. Nagt trotzdem am Ego, aber ist immerhin aufrichtig. Und dann gab es auch die, die sehr wohl interessiert an Bindung waren und mehr wollten als ich. Und hier kommt der Punkt: Sowohl höfliche Absagen, als auch hoffnungsvolle Interessensbekundungen, sind oft ummantelt von positivem Feedback über die eigene Person. Was ich schon für überraschend nette Nachrichten bekommen habe: Dass ich eine warmherzige Wohlfühlatmosphäre verbreite, dass meine Augen so leuchten, wenn ich über kreatives Schreiben spreche, dass ich im positivsten Sinne besonders sei. Und was Nettes über sich selbst zu hören, das tut manchmal einfach gut!
Dating ist aufregend
Oooops, wie konnte mir das nur auf den letzten Punkt rutschen? Im ganzen Dating-Wirrwarr vergesse ich es manchmal, aber: Dating kann Spaß machen. Dating ist Action und Unterhaltung. Dating heißt Begegnungen, und Begegnungen lassen Dinge entstehen. Wann sonst bietet sich die Möglichkeit, einem spontanen Kurztrip zuzustimmen und in ein ungewisses Liebesabenteuer aufzubrechen? Oder mit einem attraktiven Fremden auf dem Olympiaberg zu knutschen, während Ed Sheeran im Hintergrund sein Konzert mit dem Song „perfect“ abschließt? Dating kann dazu führen, dass man sich lebendig fühlt. Dating bringt einem Geschichten, an die man lange zurückdenkt. Nicht umsonst füllen diese Geschichten ganze Serien. „Do it for the plot!“ ist ein beliebtes Motto unter Singles. Grob übersetzt meint es: Sei die Hauptfigur in deinem persönlichen Liebesfilm.
2 Antworten zu “6 Dinge, die ich am Dating mag”
Als Mensch, der schon seit langer Zeit (gefühlt mein ganzes Leben) nach dem „Richtigen“ sucht, war ich beim Lesen des Titels ein wenig irritiert und fast schon eifersüchtig, dass jemand wirklich Spaß am Daten haben kann. ;-)
Doch beim Lesen des Textes habe ich gemerkt wie reflektiert das Thema betrachtet wird: Besonders wenn man ernsthaft auf der Suche nach Liebe ist oder schon die ein oder andere Enttäuschung erlebt hat, geht die Leichtigkeit (ein bisschen) verloren. Und dann man muss sich regelrecht zwingen, doch auf dieses eine Online-Date zu gehen. Auch wenn es selten funkt, kenne ich das gute Gefühl danach: Rausgegangen zu sein. Es versucht zu haben mein Liebesleben proaktiv zu gestalten und ja, ich bin danach stolz auf mich. Und darauf kommt es doch am Ende an: dass man stolz auf sich ist und sich selber auch etwas von der Liebe gibt, die man sich so sehr von jemand anderem wünscht.
Danke für den schönen Text und den klugen Perspektivwechsel <3
Hallo Marina, lieben Dank für deinen Kommentar und schön, dass dich der Text überraschen konnte :-) Du hast recht, die Leichtigkeit kann beim Dating sowas von flöten gehen.. Dabei geht es ja „nur“ um den potenziell wichtigsten Menschen im Leben, why the drama? ;-P Mir gefällt, wie du es formuliert hast: dass man sich selbst etwas von der Liebe gibt, die man sich so sehr von jemand anderem wünscht. Quasi Dating-Selbstfürsorge. Liebe Grüße, Hanna