10 Wochen für die Kreativität: mein Creative Sabbatical oder auch Creabbatical

20. Juli 2023 von in

Dr. Hanna Kuschel ist 34 und lebt in München. Sie ist Psychologin und angehende Paar- und Familientherapeutin. Getreu der Positiven Psychologie interessiert sie sich vor allem dafür, was uns im Leben stark macht. Für sie ist das: Klarheit über die eigenen Prägungen der Herkunft(-sfamilie), Klarheit über die eigenen Werte, Humor, Kreativität und Vertrauen. Und funktionierende Beziehungen, süße Tiere und schöne Klamotten. Mehr zu Hanna findet ihr auf Instagram unter @kuschelhanna.

Hola, ich wollte kurz Bescheid sagen: Ich bin bald off. Und zwar zehn Wochen. Keine Jour Fixes, keine Check-ins, kein emergency synchro bei Projekt-Eskalation. Ich habe frei. Please hesitate to contact me, ich bin out of office, und zwar fast drei Monate lang.

Die Idee kam mir letzten Herbst. Eine Freundin war gerade von ihrer Auszeit zurückgekehrt und erzählte von ihren Eindrücken aus drei Monaten Spanien und Portugal mit dem Bulli. Mein Gedanke: „Die macht’s richtig. You only live once“. Dann dachte ich: „Ich will auch frei haben!“ Und dann: „Warum mache ich das eigentlich nicht? Theoretisch könnte ich, was hält mich davon ab?“. Das Geld reicht, ich muss keine Familie ernähren, noch nicht mal Haustiere gießen oder Pflanzen füttern. Meine Firma bietet Möglichkeiten für Auszeiten an. Am Ende wird es auf eine Mischung aus unbezahltem Urlaub, Urlaub und Überstunden-Abbau hinausgelaufen sein. Eigentlich ging es nur darum, eine Entscheidung zu treffen und mich zu trauen.

Und so war der Gedankensamen gesät, mal eine berufliche Auszeit zu nehmen. Wie ein fleißiges Kresse-Pflänzchen wuchs er heran. Der größte Schritt war, mir selbst die Erlaubnis zu geben, dass mein Beruf für eine gewisse Zeit mal nicht die höchste Priorität in meinem Leben hat. Mit allen möglichen Konsequenzen. Dass Spaß, andere Interessen und persönliche Themen auch mal Vorrang haben dürfen. „Meist sieht man des Lebens Frist vor lauter Alltagsfristen nicht“, besagt ein weiser Merksatz. Also ran an den Speck, jetzt oder nie! Um mich selbst auszutricksen, dass aus dem Gedanken auch ein echter Plan wird, weihte ich meine Chefin früh ein. Nun war es ausgesprochen: „Ich will länger frei haben“. Ab da war kein Weg zurück. Und die Vorfreude stellte sich ein. Der nächste Sommer wird ein freier Sommer, wie schön!

Kreativität als „Connecting the dots“

Viele nutzen so eine Auszeit, um die Welt zu bereisen. Für mich war klar: Ich möchte mich meiner Kreativität widmen, Reisen soll nicht im Fokus stehen. Die Idee für mein Creative Sabbatical oder auch Creabbatical war geboren. Vor Jahren habe ich mal einen Vortrag über Kreativität besucht, bei dem es hieß: „Kreativität, das ist ‚connecting the dots‘.“ Also die Fähigkeit, Bezüge zwischen Bereichen herzustellen, wo vorher noch keine waren. Lebenserfahrungen aus Bereich A auf Lebensbereich B zu transferieren und dadurch etwas Neues, Überraschendes zu erschaffen. So hat zum Beispiel Steve Jobs das User-Interface des Mac-Computers nur so schlicht und letztendlich ikonisch gestaltet, weil er Jahre zuvor einen Kalligraphie-Kurs besucht hat und die Eindrücke daraus bei ihm jahrelang haften blieben (nachzuhören hier).

Diese Vorstellung hat mich seit jeher fasziniert: Kreativität als lebenslanger Prozess, bei dem man Eindrücke in unterschiedlichsten Lebensbereichen sammelt („dots“), diese Eindrücke irgendwann, zu Zeitpunkt X, eine Verbindung miteinander eingehen („connecting“) und daraus etwas wahrlich Neues entsteht. Ich will in meiner Auszeit also „dots“ sammeln, Eindrücke, meinen Interessen und meiner Intuition folgen, ohne den Anspruch, dass ich davon direkt profitiere. Aber mit der festen Überzeugung, dass es mich bereichert. Um „outside the box“ zu denken, muss man eben manchmal die Box verlassen.

Setting the mind: Wie geht man ein Sabbatical an?

Stellt sich nur die Frage: Welche dots will ich sammeln, wie genau will ich die freie Zeit gestalten? Viele Hochschulen und Institutionen wie Volkshochschulen oder Museen bieten zwischen Juli und Ende September Kompaktkurse an, sogenannte Summer Schools. Dort kann man komprimiert Kreativwissen aufsaugen. Dazu kommt ein schier unbegrenztes Angebot an Online-Kreativkursen auf Plattformen wie domestika, skillshare, udemy oder meetyourmaster. Es gibt quasi nichts, was es nicht gibt – und mich interessiert alles: Siebdruck, Bauchtanz, Jodeln oder Musikproduktion. Aktzeichnen, Bildhauen, digitale Illustration, Videoschnitt oder kreatives Schreiben. Nach 15 Jahren in Bayern endlich mal ordentlich den bayrischen Dialekt lernen? Mir von Anke Engelke die Grundregeln von Komik und Improvisation erklären lassen? Ins Didgeridoo-Handwerk eintauchen? JA, JA und JA! Eine Auswahl zu treffen, ist die pure Überforderung. Schon diese Aufgabe schubst mich direkt rein in die operativen Fragen rund um mein Creabbatical und damit in die Selbstreflexion:

Wie voll packe ich meine freie Zeit? Ich will Gelerntes ja auch nachwirken lassen, Zeit zum Lesen haben und Raum für Spontaneität lassen.

Ist 50/50 ein guter Ansatz? Also halb verplant, halb unverplant? „Creative people need time to sit around and do nothing”, hallt es in mir.

Wie bewerte ich mein Creabbatical, wenn in der unverplanten Zeit doch nicht so viel entsteht, wie erhofft – und mich die Muse der Spontaneität nicht küsst?

Was erhoffe ich mir? Brauche ich ein Ziel, eine Aufgabe oder vielleicht ein Mindestpensum an täglicher Kreativzeit?

Was muss passiert sein, damit ich am Ende der zehn Wochen auf die Zeit zurückschaue und denke: „Das waren gute zehn Wochen“?

Was soll auf gar keinen Fall passieren, was wäre mein Worst Case? Hier habe ich schon jetzt die klare Antwort: Zu viele Verpflichtungen und das Gefühl, nur die Erwartungen anderer erfüllt zu haben, anstatt das zu tun, was mir guttut.

Was ist mein größter Stressor und Kreativitäts-Killer? Für mich: Ständig auf Achse und nur damit beschäftigt zu sein, meinen Koffer umzupacken.

Was sind meine Fallstricke? Ich weiß zum Beispiel, dass ich mir an freien Tagen immer zu viel vornehme, weil ich unterschätze, wie lang die einzelnen Aktivitäten tatsächlich dauern.

Und zuletzt der Reality-Check: Wie geht es mir eigentlich gerade? Was passiert zurzeit in meinem Leben und was brauche ich eigentlich – wie passen also meine Bedürfnisse, meine Erwartungen und Vorstellungen an die freie Zeit zusammen?

Fragen über Fragen. Die eigene Lebenszeit plötzlich zur freien Verfügung zu haben, ist eben ein unbekanntes Gefühl. Ich merke außerdem, wie sehr ich im kapitalistischen Denken der Leistungsgesellschaft gefangen bin: Ich will die Zeit irgendwie „sinnvoll“ nutzen. Und sinnvoll heißt für mich verinnerlicht automatisch produktiv.

Mein Plan für die zehn Wochen

Von erfahrenen Sabbatical-Nehmerinnen habe ich den Tipp bekommen, dass ich mir eine Intuition setzen soll. Also eine innere Haltung, der ich in dieser Zeit folge und die ich explorieren kann.

Ich habe mich für diese Intuition entschieden: Ich möchte in der freien Zeit tun, was mir Spaß macht und was sich richtig anfühlt. Kreative Lernerfahrungen jeglicher Art sollen Vorrang bekommen.

Mein Creabbatical habe ich nun so aufgesetzt, dass rund 50 Prozent der Zeit unverplant ist. In der verplanten Zeit besuche ich einen Clown-Workshop in Konstanz und bin gespannt, wie Humor nur über den Einsatz von Gestik, Mimik und Körpersprache transportiert wird. Ich mache außerdem einen Improtheater-Urlaub auf Korfu, wo es morgens Input gibt zu Improtheater und Storytelling, und ab mittags wird am Strand gechillt. Ich habe außerdem unterschiedliche Onlinekurse in die engere Auswahl genommen, zum Beispiel „Systemische Sexual- und Paartherapie von Ulrich Clement“, „Die Psychologie der Farbe“ oder „Geometrische Illustration für Social Media“. Außerdem sind feste Blöcke für Erholung mit Freunden und Familie eingeplant. Für die restliche Zeit heißt es: Go with the flow! Letting go and letting come!

Inspiration für kreative Sommerkurse

Habt ihr jetzt auch Lust auf Kreativkurse bekommen? Dann habe ich euch ein paar Möglichkeiten herausgesucht – wie wäre es zum Beispiel hiermit:

1. University of Copenhagen: Dressing the World, Theory and Practice through 2000 Years

2. Volkshochschule München: Wie schreibt man ein gutes Drehbuch?

3. Internationale Sommerakademie für bildende Kunst Salzburg: Exploring the Earth as Lover: New Approaches to Environmental Art, Theory & Activism

4. Regelmäßige Aktzeichen-Kurse in München

5. Summer School der Hochschule für Film und Fernsehen München: Comic Toolbox Masterclass, ein Handbuch des Humors

6. Online-Kurs: Einstieg in die Musikproduktion

7. Summer School der Universität der Künste Berlin: Pause and Participate. Play and Photograph.

8. Summer School der Aalto University in Finland: Design thinking and product development

9. Online-Kurs: Workshop Innenarchitektur

10. Und wer auf den Pfaden von Steve Jobs wandeln möchte: Kompaktkurs Kalligraphie an der Volkshochschule München

Auf einen kreativen Sommer!

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