Produktionshölle in der Türkei: Wie gehen wir damit um?
„Minderjährige syrische Flüchtlinge müssen nach BBC-Recherchen in der Türkei arbeiten – ohne ausreichenden Schutz und bis zu zwölf Stunden am Tag. Sie produzieren Kleidung für Marken wie Zara und Mango.“ Wumms. Als ich heute morgen meinen Facebook-Feed durchscrollte, traf mich diese Schlagzeile des Spiegels. Innerhalb von Sekunden war ich hellwach und blickte mit Magengrummeln in Richtung meines Kleiderschrankes. Ich verfolge immer wieder die Nachrichten rund um die Bekleidungsindustrie, setze mich mit Herstellung und Produktion auseinander und bin jedes Mal erneut entsetzt darüber, wie groß die Gap zwischen unserer westlichen Welt, in der wir Fast Fashion lieben und leben, und den armen Ländern ist, die unter dieser Industrie leben und leiden. Auch kaufe ich – wie die meisten von uns – bei oben genannten Läden meine Kleidung.
Die Nachricht von heute traf mich trotzdem ein bisschen mehr. Denn ich kenne Flüchtlingskinder aus Syrien. Habe mit ihnen gelacht, gespielt und gesprochen. Der Gedanke, dass diese Kinder für das Herstellen meiner Kleidung leiden müssten, widert mich an. Ich möchte kein einziges solches Kleidungsstück mehr tragen. Klar, die Schlauen unter uns werden jetzt sagen: Ja gut, ein Kind aus Bangladesch hat vielleicht auch dein Zarakleid genäht. Und ja, das ist mir jetzt bewusster denn je. Gleichzeitig liegt es in der Psychologie des Menschen, dass Problem, die näher an einem selbst sind, auch bewusster wahrgenommen werden. Geflüchtete Menschen sind uns derzeit näher als die Näherin aus Bangladesch. Auch die Türkei ist rein geografisch näher als Kambodscha. Das macht das Problem nicht schlimmer oder besser, sondern rückt es viel mehr in unser europäisches Wissen. Denn neben Zeit und Spiegel, die auch über Katastrophen wie den Fabrikeinsturz in Dhaka berichteten, schreiben jetzt auch Medien wie Welt und Bild über die Entdeckung der BBC. Ein guter Zeitpunkt, noch mal darüber zu reden.
Ich kaufe bei Zara und Mango. Hin und wieder auch bei Asos. Öfter mal bei H&M. Zwischendrin auch Designersachen. Ich besitze mehr, als ich bräuchte. Die Modebloggerin besitzt sowieso mehr als die Privatperson es jemals erdacht hätte. Ich liebe Mode, wie Tausende andere Mädchen und Frauen neben mir. Und die Highstreetketten sind die erste Anlaufstelle. In Zeiten von Fast Fashion und Onlineshopping rund um die Uhr mehr denn je.
Dass Mango, Zara, Asos und alle anderen Kinder unter menschenunwürdigen Bedingungen und zu einem Hungerlohn Kleidung nähen lassen ist unfassbar schrecklich. Es widert mich wirklich an. Denn nicht nur die geflüchteten Kinder in der Türkei lassen mein Herz brechen, auch die Zustände in Bangladesch, Kambodscha und Laos sowie Vietnam sind nach Dokumentationen wie True Cost nicht auszublenden. Auch ich blende es nicht aus, aber ich lebe jeden Tag damit. Gleichzeitig versuche ich unsere Reichweite zu nutzen, aufzuklären, bewussten Konsum zu propagieren und stehe da auch immer wieder vor eigenen Abgründen. Denn es macht machtlos. Das System ist schrecklich.
Die Alternative nur noch teurere Kleidung zu kaufen ist keine. Denn auch Designer produzieren in den oben genannten Orten – nur werden diese selten genannt. Durch finale Produktionen in Europa können sie meist sogar Made in Italy auf ihre Produkte schreiben, wenn gleich in Asien genäht wurde. Nicht umsonst kommen Plagiate aus dem asiatischem Raum. Auch Chanel & Co. haben hier ihre Fabriken.
Was bleibt uns also übrig? Weniger konsumieren. Überlegt konsumieren. Uns bewusst machen, was wir wirklich brauchen. Aufklären, in den Dialog mit Firmen treten, um höhere Löhne für die Näherinnen und Näher zu erreichen. Und Kinderarbeit verabscheuen und das zum Ausdruck bringen.
Wir wissen, all dies kollidiert natürlich öfter mit unsere Shoppinginspirationen, mit dem Erhalt eines Modeblogs. Doppelmoral könnte man hier schreien. Wir nennen es Zwiespalt und Mensch sein. Wer uns kennt, weiß, wir konsumieren weitaus weniger als in den vergangenen Jahren. Sprechen über derartige Nachrichten, versuchen einen Weg zu finden, der für uns moralisch, intellektuell sowie menschlich der richtige ist. Scheitern immer wieder in dem richtigen Maß, denn die Mode ist eben auch unsere Leidenschaft, unser großes Thema im Leben und mittlerweile unser Job. Wir diskutieren oft über faire Alternativen und warum es so schwer für faire Modelabels ist, auch modisch zu sein. Denn wir – und wahrscheinlich auch ihr – seid in Anbetracht der vielen schrecklichen Nachrichten mehr als bereit, Geld für faire Kleidung auszugeben.
Menschen, die ihre Leidenschaft für Mode und Trends ausblenden können, diese Leidenschaft, die natürlich auch ein Teil Identitätsgebung ist, dem Wohl der Welt unterzuordnen, bewundere ich. Das schaffe ich derzeit nur sehr strikt bei der Ernährung.
Der nächste Schritt wäre sicherlich, alle Highstreetketten zu meiden. Ein schwerer. Aber vielleicht ist es wieder einmal an der Zeit, sich bewusst zu machen, was man konsumiert. Im nächsten Schritt dann erstmal sehr viel weniger oder nicht mehr zu konsumieren, sondern sichvon Magazinen, Instagram und anderen Medien inspirieren lässt, aber die Umsetzung im bereits bestehenden Überfluss-Fundus versucht.
Wir im Team hatten bereits vor einiger Zeit und vor allem nach dem Vortrag von Frank Berzbach über den Verzicht von Konsum gesprochen und ihn uns vorgenommen. Vielleicht jetzt passender denn je.
Photocredit: Kris Atomic/Unsplash
12 Antworten zu “Produktionshölle in der Türkei: Wie gehen wir damit um?”
Ein wahrer, wichtiger Text! Danke dafür – du sprichst mir aus der Seele.
Nachhaltig leben, das geht wohl nur mit Verzicht (was aber nicht bedeutet weniger glücklich zu leben ) und der Einsicht, dass der Mensch auch ohne dauernden Konsum glücklich sein kann.
Ich empfehle da Autoren wie Niko Paech :)
Liebe Leonie,
danke dir!
Nachhaltig leben ist definitiv der richtige Weg. Klappt sicherlich nicht in allen Bereichen, aber jeder Schritt in die richtige Richtung zählt. Den von dir genannten Autoren sehe ich mir mal an, danke dir!
Liebe Grüße!
Ich habe seit über 6 Monaten keine neuen Klamotten mehr gekauft, alles nur noch Second Hand. Und das klappt viel, viel besser als gedacht: Über eBay findet man zum Beispiel richtig gute Sachen (auch Designerklamotten) für richtig gute Preise. Und ich beschränke mich auf das Wesentliche, inzwischen passen alle meine Klamotten in eine einzige Kommode. Ich glaube nicht dass man unbedingt „verzichten“ muss, es ist eher eine Entscheidung Qualität vor Quantität.
Liebe Jowa,
das sowieso – Es ist eine Entscheidung. Einmal Qualität vor Quantität, aber eben auch Verzicht des Konsumes an sich. Das ist ja mittlerweile auch eine Art Lifestyle. Ich erinnere mich beispielsweise daran, dass wir früher als Kinder nur zweimal im Jahr einkaufen gefahren sind, heute shoppt man rund um die Uhr – als Freizeitbeschäftigung. Das meine ich mit Verzicht bzw. Verlagerung dessen. :)
Designersachen kaufe ich auch extrem gerne second hand, bei anderen Dingen möchte ich jetzt öfter mal gucken! Liebe Grüße!
Wow Antonia, was für ein toller Artikel und so aktuell, Hut ab! Du sprichst auch mir aus der Seele. Jetzt auch noch die Türkei… Mich hat beim Blick auf das Etikett immer beruhigt, wenn etwas in der Türkei produziert wurde, zumindest in meiner Welt herrschten in diesem Land „fairere“ Bedingungen… Puh, keine Ahnung was wir tun können, außer weniger konsumieren. Aber es ist einfach SO verlockend und ja, ich gebe es zu es macht auch SO viel Spaß…. Ausblenden kann ich die schrecklichen Bedingungen allerdings nie und es schwingt beim Gang an die Kasse immer ein schlechtes Gewissen mit. Du schreibst bei Instagram inspirieren lassen und erstmal seinen eigenen Berg durchsuchen und Alternativen suchen. Das finde ich eine sehr gute Idee. Erschreckend oft finde ich Dinge, deren Existenz ich völlig vergessen hatte… das ist doch nicht mehr normal. Auch Second Hand shoppen ist sicher ein super Alternative. Danke also für euren Tictail Shop, habe gestern schon zugeschlagen ;) Ganz liebe Grüße aus Freiburg und Danke für eure tollen, ehrlichen und reflektierten Beiträge zu diesem Thema, Neele
Einer der Momente in denen ich froh bin, dass mir so wenige Klamotten passen… und ich deshalb auch so wenig kaufe.
Ich muss wirklich lernen mir auch Hosen selbst zu nähen, dann kann ich auch ohne schlechtes Gewissen Klamotten tragen .
Ist schon eine Sauerei, so weit ist das Elend echt nicht von uns entfernt.
Ja? Dann mach dir mal Gedanken, wo die Stoffe dafür herkommen.
Es ist wirklich widerlich – und wirklich schwer als Konsument da auszusteigen. Trotzdem habe ich in den letzten Monaten bewusst nicht mehr bei Highstreet-Ketten eingekauft. Ich habe schon auch Marken gekauft, von denen ich nicht weiß wie sie produziert werden – dann aber wenigstens bei kleinen Läden, wo die Besitzer sich viel Gedanken um ihre Auswahl machen und um den örtichen Einzelhandel zu unterstützen. Auch sich mal einen Hessnatur-Mantel zu gönnen statt drei vom Zara – die wie hier ja auch schon oft gezeigt wurde mittlerweile echt stylisch aussehen ist schon ein keiner Schritt in die richtige Richtung. Man muss nicht perfekt sein – aber bewusster Konsum hilft in Babyschritten schon – auch gegen das Ohnmachtsgefühl, das diese Artikel immer wieder hervorrufen. Danke, dass ihr das Thema ansprecht!
Liebe Thea,
Hut ab vor deiner Leistung nichts bei Highstreetketten zu kaufen.
Ich bin sonst auch völlig bei dir. Einzelhandel stützen statt nur noch Online kaufen, bewusst konsumieren wie beispielsweise einen Strickcardigan von Hess Natur statt fünf von Highstreetketten.
Wie du sagst, man muss nicht perfekt sein, sondern jeder Schritt in die richtige Richtung zählt.
Danke dir, liebe Grüße!
Das ganze Thema ist ziemlich schwierig… Ich meine, warum arbeiten die Kinder denn überhaupt da? Vermutlich, weil ihre Familien dringend Geld benötigen, um Lebensmittel etc. kaufen zu können, und es in der Türkei keine Sozialhilfe für Flüchtlinge gibt. Dieses Problem lässt sich nicht einfach durch Konsumverzicht lösen, dann fallen lediglich Einnahmequellen für die Familien weg. Man müsste eigentlich entweder neue Arbeitsplätze schaffen, die dann die Eltern der Kinder ausüben können und von dem Gehalt sie ihre Familie versorgen können, oder die Flüchtlinge kostenlos mit Unterkunft und Nahrung versorgen… Beides liegt nicht unbedingt in der Hand des Verbrauchers, schon eher in der des Wählers. „Neue Arbeitsplätze“ ist wohl eher unrealistisch, da die Syrer ja nicht dauerhaft in der Türkei bleiben und daher früher oder später wieder wegfallen werden, aber Kriegsflüchtlingen Nahrungsmittel zur Verfügung zu stellen, sollte doch eigentlich möglich sein bei unseren Überschüssen?
PS: Im 2. Absatz meinst du eher „geografisch“ statt „orthographisch“, schätze ich ;)
Dyana, absolut. Das ist ein gesamtglobales Problem – und mitunter jetzt eine Ausbeutung einer Minderheit, der Flüchtlingsgruppe in der Türkei. Das ist unfassbar schrecklich, aber da muss natürlich weitaus mehr passieren. Der Verzicht oder die Reduzierung des Konsums ist nur ein Pfeiler, genauso aber wie das Aufmerksam-Machen auf die Flüchtlingsproblematik genauso wie auf die Problematik der Produktionen. Ein sehr komplexes Thema.
Danke dir für deinen Kommentar, liebe Grüße!
Ps. Und ja klar, haha, wird gleich ausgebessert :)
Hi Antonia,
Super Artikel und sehr differenziert. Ich glaube euer weg ist echt sehr gut: immer mehr fair Fashion Alternativen vorstellen- als „Normalo“ kennt man da einfach viel zu wenige. Letztlich hilft wie von dir angesprochen aber wirklich nur ein radikales Umdenken zum „nicht-konsumieren“. Mir hilft dabei zum Beispiel einfach nicht mehr durch Geschäfte zu gehen und auch Instagram nur noch einmal die Woche o.a. Zu benutzen. Ist wahrscheinlich bei deinem Job nicht möglich. Vielleicht könnt ihr mal ein Feature zum Thema „was brauche ich wirklich“, Stichwort 12 Piece french wardrobe machen. Ich persönlich glaube mit einer perfekt sitzenden Skin 5, einem grobstrickpulli aus toller Qualität und einer Lederjacke kommt man schon sehr weit. Könnte auch mal ein Artikel sein, wieviele Outfits kann man mit den perfekten 5-10 Outfits zusammenstellen :) Dass fair Fashion und Nachhaltigkeit übrigens sehr wohl mit dem Blogger Dasein vereinbar ist zeigt uns ja dariadaria, hättet ihr ja glaube ich auch mal vorgestellt. Liebe Grüße