Leere Gesichter, Gin und Mangosäfte: Das Grauen der Berlin Fashion Week
Es ist Donnerstagmorgen und somit unser letzter Tag auf der Fashion Week in Berlin. Wir sitzen ausgelaugt auf der ersten Show und wünschten uns, die Sonne würde heute mal für kurze Zeit nicht scheinen und die Menschen nicht reden. Es handelt sich um das klassische Fashion Week Syndrom, an dem man am Ende der Woche nichts lieber tun möchte, als sich zu verkriechen. Das zeigt man natürlich nicht auf der Fashion Week: Wir also Sonnenbrille auf und Pokerface, während wir stumm an kostenlosen Mangosäften von Hohes C schlürfen. Das funktioniert immer, also das Pokerface. Der Mangosaft so gesehen auch; ich liebe Produkt Placements bis heute auf Fashion Weeks. Der Tiefpunkt kommt ganz passend bei Marina Hoermanseder. Der Show, auf der jeder ist. Marina Hoermanseder zeigt seit wenigen Saisons auf der Berliner Modewoche und hat sich innerhalb kürzester Zeit einen Namen gemacht. Ihre Designs sind neu, ihr Markenzeichen klar und ihre Schnitttechniken innovativ und aufwendig. All das bekomme ich bei jener Show nicht mit. Schuld daran? Die Special Row, die nicht mehr nur Front Row, sondern mittig auf dem Catwalk platziert ist.
Da sitzen Menschen, die man kennen sollte. Zum Beispiel die Cathy Hummels und die Johanna Klum, dann ein weiterer Moderator, den ich noch nie gesehen habe (vermutlich Viva – gibt es Viva noch?) und ein Sänger von Culcha Candela, wie mir bei intensiver Recherche im Nachhinein klar wurde. Intensive Recherche deshalb, weil er es sich breitbeinig auf der Bank gemütlich macht, einen riesigen Rucksack neben sich auf dem Laufsteg ablegt, eine neonfarbene Kette trägt, eine Cargo Hose und irgendwelche Schuhe. Das ist alles okay, wenn ich auf dem Melt 2010 feiern gehe, aber das ist nicht okay, wenn ich auf eine Fashionshow gehe. Sein Outfit ist scheiße, aber das ist gar nicht das Problem. Das Problem ist, dass dieser Mensch das Paradebeispiel für unwichtige Z-Promis ist, die sich zweimal im Jahr mit einer arroganten Haltung vorstellen dürfen, wie es wäre, wenn. Er sitzt also da, grinsend, zu der Musik wippend und zieht innerlich die Models aus, die an ihm vorbei gehen und ihren Job machen. Er kann dabei nicht mal seinen Mund halten, sondern ruft unpassende Kommentare in die Runde wie „Wow!“ oder „Yeah!“, oder sieht gelegentlich mal einem Model hinterher, das einen kurzen Rock trägt, in der Hoffnung, ein bisschen Hintern abzubekommen. Er findet es wohl HAMMA, wie sie sich bewegt in dem Outfit.
Nach der Show springen einige mir bekannte Gesichter zu den mir unbekannten Promis und fangen an, zu buhlen. „Ich bin hier mit meiner Freundin Hanna – also Johanna Klum!“, sehe ich ein paar Meter weiter auf Snapchat, während ich in der Realität parallel dazu beobachte, dass die zwei kein weiteres Wort miteinander sprechen. Aber immerhin hat sich gerade jemand mit Hanna, also Johanna Klum, unterhalten. Die saß nämlich die verzögerte Stunde vor der Show so alleine auf ihrem Front Row Platz, eingezwängt in einem Marina Hoermanseder Kleid, dem vermutlich unbequemsten Kleid der Welt, eingefroren lächelnd und posierend, obwohl sie keiner fotografierte. Professionell, würde da jetzt vielleicht manch einer sagen. Etwas traurig, finde ich, da mir Hanna, also Johanna Klum, in dem Moment aufrichtig leid tut, und ich mich gerne neben sie gesetzt, sie umarmt und mit ihr Netflix auf dem Handy geschaut hätte, damit sie den Trubel um sich herum mal vergisst und einfach mal Mensch bleibt.
„Und was macht ihr heute Abend?“, ist eine der Fragen, die sich jeder nach der Show stellt, weil man das halt so fragt auf der Fashion Week und wir beantworten diese Frage mit „Mal sehen, vielleicht ein paar Freunde treffen und uns an die Spree setzen“. Wenn ich doch nur immer für einen Lifestyle wie diesen solch Bewunderung ernten würde. „Wow, das klingt toll!“, „Wie schön, das würde ich auch gerne machen“, als würde die Welt untergehen, wenn man an einem Donnerstagabend für zwei Stunden kein XY-Gin-Für-Lau-Event besuchen würde. Die Welt dreht sich weiter, entspann dich. Es ist nur Berlin Fashion Week.
Hört auf, euch alle so schrecklich wichtig zu nehmen! „Wie, du bist bei Stylebop eingeladen und ich nicht?“, „Wie, ich sitze nicht Front Row?“, „Wie, ich stehe nicht auf der Liste?“, sind nur eine von wenigen Sätzen, die ich mir die letzte Woche immer und immer wieder anhören musste. Du machst sicherlich einen guten Job, du hast dir in Berlin sicherlich einen Namen gemacht, du hast sicherlich viele Follower auf Instagram und du kennst sicherlich die Mode, aber die kennen neben dir tausende andere auch.
Ich wünsche mir eine Fashion Week, auf der keiner sagt, dass die Shows unwichtiger wären als die Events. Auf der mehr Leute ihren Job machen und wissen, wofür sie da sind. Aber die gibt es natürlich und das ist auch der Grund, warum wir jede Saison aufs Neue wissen, weshalb wir überhaupt noch auf der Berlin Fashion Week sind. Die Berliner Designer können was und ich liebe ihre Shows. Jedes Mal, wenn ich eine Show meiner liebsten Designer aus der Hauptstadt sehe, hüpft mein Herz und ich erfreue mich daran, wie inspirierend Mode sein kann und wie viel Spaß Mode machen kann. Und jedes Mal, wenn ich zwischen leeren Snapchat- und Name-Dropping-Gesichtern Menschen treffe, mit denen ich ein tatsächliches Gespräch führen kann und über deren Gegenwart ich mich aufrichtig freue, weiß ich, wieso ich das alles mache. Wie schön diese #MBFWB sein kann, wenn man sich die Kirschen herauspickt und wie gut man sich die Welt in einer unehrlichen Fassade machen kann, wenn man sich nur an die richtigen Leute hält und weiß, was man hier überhaupt macht.
18 Antworten zu “Leere Gesichter, Gin und Mangosäfte: Das Grauen der Berlin Fashion Week”
Leider hast du mich in einer schreibfaulen Situation erwischt. Darum nur ganz kurz:
Toller Artikel. Hatte viel Spaß beim lesen :)
Herrlich erfrischend! Danke für euren großartigen Beitrag.
Hee, der Artikel ist gut geschrieben, aber nun stelle ich mal eine Frage in den Raum:
Was meinen Blogger eigentlich wie es Einkäufern zumute war als ebendiese plötzlich auf der Bildfläche auftauchten und in der Front Row saßen und den Einkäufern die Sicht versperrt wurde?
Alles wie immer eine Frage der Perspektive. ;)
Viele Grüße
Es sollen alle mal von ihrem hohen Ross runterkommen. Die Einkäufer können auch in der 3. Reihe einkaufen. Ich bin selbst auch Einkäufer und kein Mensch macht das direkt nach einer Fashionshow, sondern ganz normal auf der Messe oder in Showrooms. Ein Front Row Platz ist ab und an schön, aber sollte nicht das Wichtigste bei einem Showbesuch sein, das ist alles, was ich sagen will! :)
Danke für deine Ehrlichkeit und ich kann das so gut nachvollziehen!
Mehr davon!
ENDLICH spricht es mal jemand aus!!!!
Hallo Amelie, ich persönlich war noch nie auf der Fashion Week, doch ich kann mir die Situationen, die du oben beschreibst, sehr gut vorstellen. Besonders amüsant finde ich die Stelle mit dem „hamma“ Typen! Ich freue mich auf mehr Beiträge dieser Art. :)
Word, Amen, Danke!
Hab mich schon lange nicht mehr so gut fremdgeschämt wie in Berlin.
3 Tage Fashionzirkus, 3 Tage Smalltalk…nix für mich!
Yeah!
Beeindruckend wie du allein aufgrund der Kleidung eines Mannes bereits auf seine- natürlich sexuellen- Gedanken schließen kannst.
Nein Mascha, das hatte, wie auch im Text steht, nichts mit seiner Kleidung zutun, sondern mit der Tatsache, dass er jedes einzelne Model beim Vorbeilaufen angemacht hat.
Merci für den Artikel!
Da ich schon ewig in Berlin lebe, kann ich die ganze Scheisse hier schon lange nicht mehr ertragen. Ich halte hier aus, weil Berlin TROTZ der ganzen neuzugezogenen snapchattenden Mode-Provinzler eine coole Stadt ist.
Man glaubt nicht, welch unfassbar wichtige Menschen hier jeden Tag aufstehen und posierend durch Mitte hoppeln und banale Worthülsen um sich werfen. Die meisten in stereotypen geschmacksneutralem Kram eingewickelt, dass einem vor Langeweile die Haare ausfallen. Danebensitzen, wenn sie miteinander reden, geht nur mit 120 Dezibel im Ohr.
Ich muss jedes Mal so schmunzeln, so dass ich schon Krämpfe habe, wenn ich 5 Minuten durch die City gebummelt bin.
Ich frag mich wirklich, wie hohl man sein muss, sich so dermassen aufblasen zu können, wie ich es hier sekündlich zu Gesicht bekomme.
Das verkommt zur lächerlichen Farce, dass man sich fragt, wovon soll „die Welt“ in 10 Jahren leben, wenn alle nur noch ihr Telefon vor ihr blasiertes Gesicht halten, um sich selbst in Szene zu setzen, dabei aber vergessen, dass die anderen dasselbe tun und sich einen Scheiss um die poreless-geschönten Selfies der anderen scheren.
Ich würde auf so ein Event höchstens gehen, um mir den Spass zu machen, die Heissluftballons der „Front Row“ anzupieksen ;)
Die Mädels vergessen, dass nicht SIE wichtig sind, sondern sie schlicht nur benutzt werden, um den ganzen Kram anschliessend unter die bis dahin abwesenden Massen werfen.
Und eine Bemerkung zum Einkäufer:
Es verkauft sich eben mehr, wenn die Potentierung des Internets dazukommt, als wenn man den eingekauften Kram einfach nur in den Laden hängt und vielleicht niemand kommt, um zu diesen kaufen.
Vorher kommen eben erst die, die den Fadenverlauf tragen müssen und die anderen: HABENWOLLEN schreien. Und die wollen nunmal gebauchpinselt werden..
Viele Sachen kaufe ich nicht mehr oder sortiere ich aus, sobald ich sie an solchen Gestalten erblickte.
Bei mir bewirkt Hype das Gegenteil und ich bin sicher, ich bin nicht allein damit.
PS: Hab gerade mal spasseshalber gegoogelt, wer Johanna Klum sein soll.
Festgestellt: noch nie gesehen. Zumindest mir nie aufgefallen, Allerweltsgesicht, gleich wieder vergessen. Model?! Ach.
Fazit: auch egal.
stalker on: warst du nicht zufällig danach auf der fusion?
Super Text! Irgendwie ehrlich, mal aus einer anderen Perspektive und dabei nicht so typisch „Berlin war natürlich wieder scheiße“! Merci, merci!!
[…] gehalten habe. Es ist nicht alles Gold, was glänzt – und so habe ich mich sehr über Amelies Kolumne zur Fashion Week gefreut. Outfit: Meine Modelust schwindet im Sommer, Amelie hingegen hat im Juli gezeigt, wie man […]
[…] einer Show des Platzes verwiesen, da ich den Zirkus um die Show drum herum vor einem halben Jahr in einem Artikel kritisierte. Nicht die Mode, nicht den Stil, erst recht nicht die Designerin, sondern einen kleinen […]