ER so SIE so: Nils, hast du schon mal sexuell belästigt?

22. Juni 2016 von in

Foto: Martina Hemm, flashednews.com

Meine Freundin M. kennt ihn schon länger. Flüchtig; vom Feiern, Sehen, München halt. Wir alle kennen ihn vom Feiern, Sehen, München halt. Er ist die Art von Typ, die man einfach gutaussehend finden muss – ob man will, oder nicht. Objektive Schönheit. Er ist der Quarterback eines jeden amerikanischen Teeniefilms und das weiß er auch ganz genau. Wir also neulich Essen gegangen, er war im selben Restaurant und wir beschlossen, uns zusammen zu setzen. Is’ ja irgendwie nett, man kennt sich ja.

Der Abend verging, wir tranken alle etwas zu viel Wein, den Liquid Cocaine am Ende hätt’s nicht mehr gebraucht und bald machten sich alle auf den Weg Richtung Heimat. Es war ein Mittwoch. Quarterback und meine Freundin gingen gemeinsam Heim; sie wohnten direkt ums Eck und stellten an jenem Abend fest, dass sie Nachbarn sind. „Ich habe zu Hause einen Whirlpool“, sagt er ihr vor ihrer Tür. „Das ist sehr schön! Gute Nacht!“, sagte sie, aber das reichte ihm nicht. „Kann ich noch einen Sprung mit zu dir hoch kommen?“, bohrte er weiter. „Lieber nicht, ich muss morgen früh raus…“, „Auf ein Bier?“, während er sich an sie klammerte wie ein Äfflein, bewegte sich die Szenerie Richtung Aufzug. Sie stieg ein. Er stellte sich zwischen die Schranke und versuchte sie weiter zu überzeugen. Sie bekam Angst.

Am nächsten Tag rief mich meine Freundin schockiert an. Sie konnte ihn letztlich abwimmeln und zerbrach sich den Kopf darüber, an welchem Punkt er gedacht haben muss, sie möchte mit ihm schlafen. „Habe ich ihm falsche Signale gesendet, Amelie? Ist dir irgendwas aufgefallen?“. Ich erklärte ihr, dass es sich bei jenem Mann um einen Mann handle, der Signale empfängt, sobald eine Frau eine Frau ist und seiner Meinung nach gut aussieht. Im offensichtlichsten Fall sendet sie Signale, wenn sie sich auch noch mit ihm unterhält – aber das ist keine Voraussetzung. Meine Freundin haderte und meinte, sie hätte vielleicht sagen sollen, sie habe einen Freund. Die effektivste Möglichkeit, sich von unangenehmen, sexuell geladenen Situationen zu distanzieren? Einen weiteren Mann ins Spiel bringen. Oder der Schuss geht nach hinten los und der Interessierte sieht die Beziehung als weitere Herausforderung.

Dass sie am gestrigen Abend sexuell belästigt wurde, wollte sie zunächst selbst nicht glauben. Er sieht so gut aus, hat tausende Herzen gebrochen – sie könne das Ganze als Kompliment für sich verbuchen. Was wäre aber gewesen, wenn er kein Einsneunzig-Mann gewesen wäre mit wildem, schwarzem Haar, einer runden Brille, einem cheesy Hemd von A Kind of Guise, das bewusst cheesy sein soll. Was, wenn er keine eisblauen Augen gehabt hätte? Was, wenn er schlichtweg hässlich gewesen wäre? Dann wäre es kein Kompliment mehr, sondern sexuelle Belästigung, richtig?

Gleichzeitig stelle ich es mir als Mann sehr kompliziert vor. Wir Frauen plädieren für „Nein heißt Nein“, obgleich ich mir sicher bin, dass manche Frauen das „Nein“ als sexuelles Machtspiel nutzen. Wir sind plötzlich Pop-Feministinnen und irgendwie scheinen viele nicht begriffen zu haben, was das genau bedeutet. Die Feministen und Feministinnen mit eingeschlossen. Das ist für alle Beteiligten verwirrend. Und trotzdem frage ich mich: Fehlt so vielen Männern die Empathie für das Bedürfnis der jeweiligen Frau, die sie herum kriegen wollen? Ist sexuelle Gewalt in so vielen Fällen ein Missverständnis, weil Kandidaten wie Herr Quarterback einfach nicht fassen können, dass es eine Frau in ihrem potenziellen Harem gibt, die den Whirlpool (What the Fuck, übrigens) nicht sehen möchte?

Ich bin wütend. Auf den Mann, der meiner guten Freundin Angst eingejagt und ihr den Weg zu ihrer Wohnung versperrt hat. Der aufgrund seines Egos übergriffig wurde. Gleichzeitig frage ich mich, wie es wohl als Mann in Zeiten des Beyoncé-Pop-Feminismus ist, zu flirten. Nils, hast du schon mal darüber nachgedacht, eine Frau aufgrund eines Missverständnisses sexuell belästigt zu haben? Traust du dich noch zu flirten in Zeiten des neuen Feminismus?

Nils Antwort folgt nächste Woche.

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7 Antworten zu “ER so SIE so: Nils, hast du schon mal sexuell belästigt?”

  1. Interessantes Thema! Mich würde jedoch noch interessieren, wie du „Beyoncé-Pop-Feminismus“ definierst. Gab es darüber schon mal einen Artikel?
    Liebe Grüße!

  2. Hey,
    ich hatte spontan den Gedanken, dass Menschen, die nicht mit Nein umgehen können, es schlichtweg nicht gelernt haben.
    Schauen wir doch in den Supermarkt, Kind bettelt Habenwollen, Mutter sagt Nein, Kind bettelt weiter. Und irgendwann gibts den Schokoriegel eben doch…

    So hat’s wahrscheinlich angefangen.

    Lieber Gruss
    Ava

  3. Guter Ansatz! Meine Erfahrungen haben zwar nichts mit sexueller Belästigung zu tun, aber ich habe ein halbes Jahr in Dänemark gelebt und dort verstehen sich die Leute ja als sehr emanzipiert und feministisch. Männer wie Frauen. Dort kann man quasi nicht mehr flirten. Männer halten einem nicht die Tür auf, bezahlen nicht beim ersten Date, bringen einen im Dunkeln nicht nach Hause (Ausnahmen gibt’s natürlich immer, klar). Aber wie willst du da flirten, dich revanchieren, wenn er keine Zeichen sendet und sie auch nicht. Da läuft das ganze dann besoffen ab. Und ich hab mich oft gefragt: Wer von den beiden wollte besoffen vielleicht gar nicht unbedingt ein One-Night-Stand?

    • Nach einem Jahr in Schweden kann ich dir nur beipflichten Kathi… Feminismus ist in Skandinavien fester Bestandteil der Gesellschaft. Fand ich öfter mal etwas extrem dort, aber seit ich wieder in Deutschland bin, bin ich viel aufmerksamer was das Thema angeht.. Gute Sache also.
      Was die Flirtkultur angeht hast du vollkommen recht. Es ist ziemlich furchtbar. und nüchtern schon ganz und gar unmöglich.. also wirklich unmöglich.
      Gibts nicht irgendwie einen Mittelweg?

      Liebe Grüße

  4. Ich habe das auch in Schweden so erlebt, dass sowohl mir als auch meinen Kumpels das offensive Anmachen too much war. Daher denke ich, das ist keine Frage des Geschlechts, sondern eine Frage des Gespürs für Grenzen: deine, die des Gegenübers und des Alkohols.
    Hier wird eben immer noch erwartet, dass der Mann die Avancen macht. Daher ist es eben auch meistens ein Mann, der das mit den Grenzen nicht rafft.

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